OLG Hamm: Elterliche Sorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Kindeswille

Auf die befristete Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Witten vom 22.1.2009 abgeändert.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das betroffene Kind B M (geb. am xxx) wird auf den Kindesvater allein übertragen.

Im übrigen – hinsichtlich der Regelung der Umgangskontakte des Kindes mit dem nicht betreuenden Elternteil – wird die gemeinsame elterliche Sorge wiederhergestellt.

Der Antrag der Antragsgegnerin auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die gemeinsame Tochter B M wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner zu je ½. Im übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die seit Januar 2007 rechtskräftig geschiedenen Kindeseltern streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame, heute 13 Jahre alte Tochter B. B besucht die Hauptschule. Sie leidet an Diskalkulie und war deswegen in der Zeit von Januar 2007 bis einschließlich Juni 2008 in therapeutischer Behandlung.

Die am 24.9.1968 geborene Antragsgegnerin (Kindesmutter) lebt seit März 2008 mit einem neuen Lebenspartner zusammen. Sie ist im Geringverdienerbereich erwerbstätig. Der Antragsteller (Kindesvater), von Beruf Oberbrandmeister, lebt seit der Trennung der Parteien im April 2004 mit seiner Lebenspartnerin zusammen. Beide betreuen ein gemeinsames, heute 4 Jahre altes Kind M2 (geb. am xxx).

Die gemeinsamen Kinder B und ihr heute 14 Jahre alter Bruder Q (geb. am xxx) sind nach der Trennung der Kindeseltern zunächst im Haushalt der Antragsgegnerin verblieben. Regelmäßige Umgangskontakte des Antragstellers mit den Kindern haben alle 14 Tage stattgefunden. Aufgrund einer Umgangsvereinbarung im Sorgerechtsstreit der Kindeseltern vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Witten vom 5.9.2006 (Az. 5 F 311/04) hatte der Vater das Recht, mit beiden Kindern vierzehntägig in der Zeit von Freitag nachmittag bis Sonntag abend, an einem Tag in der Woche, jeweils mit Übernachtung, sowie die Hälfte der Schulferien zusammen zu sein. Im Sommer 2007 brach der Umgang zwischen Q und dem Antragsteller vorübergehend ab. Aufgrund einer erneuten Vereinbarung der Kindeseltern im Verfahren 5 F 231/07 vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Witten vom 6.11.2007 zum Wiederaufbau der Umgangskontakte werden seit Sommer 2008 Kontakte zwischen Q und dem Vater in eingeschränktem Umfang eigenverantwortlich vereinbart und wahrgenommen.

Am 29.2.2008 ist B in den Haushalt des Antragstellers gewechselt, nachdem sie seiner Lebenspartnerin gegenüber von sexuellen Übergriffen ihres Bruder berichtet hatte. Umgangskontakte zwischen B und der Antragsgegnerin haben seit dem Wechsel des Kindes in den Haushalt des Kindesvaters bis Dezember 2008 nicht und danach erst wieder ab März 2009 stattgefunden. Der Wechsel Bs in den Haushalt des Antragstellers war Anlass für das Stellen der wechselseitigen Anträge der Kindeseltern auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Durch einstweilige Anordnung des Familiengerichts vom 24.4.2008 ist dem Antragsteller das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für B vorläufig übertragen worden.

In der Hauptsache hat der Antragsteller erstinstanzlich beantragt,

ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B allein zu übertragen.

Die Antragsgegnerin hat erstinstanzlich beantragt,

ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B allein zu übertragen.

Das Familiengericht hat beide Kinder und die Eltern persönlich angehört. Es hat zur Frage der Regelung der elterlichen Sorge ein Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. I Y eingeholt. Darin ist die Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass sexuell motivierte Übergriffe des Bruders gegen seine Schwester nicht angenommen werden könnten und es sich bei dem von B beschriebenen Verhalten ihres Bruders um pubertär anmutende Versuche Qs, seine Schwester zu ärgern, gehandelt habe. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung der Beteiligten wird auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle vom 17.4.2008 (Bl. 17 ff.) und vom 21. und 22. 1. 2009 (Bl. 164 f., 166 ff.) nebst Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Begutachtung im übrigen wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 29.10.2008 (Bl. 32 ff.) und die ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen im Termin vor dem Familiengericht am 22.1.2009 (Bl. 167 R ff.) verwiesen.

Mit angefochtenem Beschluss vom 22.1.2009 hat das Familiengericht entschieden, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B – zeitlich begrenzt bis zum 1.6.2009 – den Kindeseltern entzogen und auf das Amt für Jugendhilfe und Schule der Stadt X als Ergänzungspfleger übertragen wird. Nach Ablauf der genannten Frist sollte die Antragsgegnerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B alleine ausüben. Außerdem hat das Familiengericht die Wiederanbahnung von Umgangskontakten zwischen der Antragsgegnerin und B angeordnet und den Umgang des Kindes mit dem Vater für die Zeit nach deren Wechsel in den mütterlichen Haushalt geregelt. Hinsichtlich der Einzelheiten der Entscheidung wird auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses (Bl. 172 ff.) d. A. verwiesen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Beide Eltern halten in der Rechtsmittelinstanz ihre erstinstanzlichen Anträge auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht aufrecht.

Ein Versuch des als Umgangspfleger eingesetzten Jugendamtsmitarbeiters der Stadt X, den Kontakt zwischen B und der Antragsgegnerin im Wege des begleiteten Umgangs wieder aufzubauen, ist fehlgeschlagen. Ein erster geplanter Kontakt am 24.2.2009 scheiterte daran, dass sich weigerte, die Wohnung der Kindesmutter zu betreten. Weitere vom Jugendamt geplante Umgangstermine am 3.3.2009 und am 11.3.2009 wurden von B nicht eingehalten. Statt dessen hat sich B auf eigene Initiative und nach vorheriger telefonischer Absprache mit ihrer Mutter am 3.3.2009, am letzten Schultag vor den Osterferien im April 2009, und am Donnerstag, den 30.4.2009, mit der Antragsgegnerin außerhalb der mütterlichen Wohnung getroffen. Seitdem findet ein regelmäßiger telefonischer Kontakt zwischen ihr und der Mutter statt.

Der Senat hat die Beteiligten und die betroffene Jugendliche B persönlich angehört. Er hat eine mündliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens durch die Dip.-Psych. I Y veranlasst. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung und der Gutachtenergänzung wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 5.5.2009 verwiesen.

Außerdem haben die Kindeseltern im Senatstermin vom 5.5.2009 eine Umgangsvereinbarung geschlossen. Danach findet der Umgang zwischen B und der Kindesmutter an jedem dritten Freitag im Monat um 16.00 Uhr außerhalb der Wohnung der Kindesmutter statt. Beide Eltern haben vereinbart, B einer Familientherapie zuzuführen und ihre eigene Bereitschaft zur Mitwirkung hieran bekundet.

II.

Die gemäß den §§ 621 Abs. 1, Zi. 1, 621e ZPO zulässige Beschwerde des Antragstellers führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses und Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für B auf den Antragsteller.

1)

Gemäß § 1671 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB können die elterliche Sorge oder Teile derselben für ein minderjähriges Kind auf einen Elternteil alleine übertragen werden, wenn dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Der Senat ist nach Anhörung der Beteiligten und Auswertung des Sachverständigengutachtens zu der Überzeugung gelangt, dass die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts (als Teil der gemeinsamen elterlichen Sorge) und die Übertragung desselben auf den Antragsteller dem Wohl von am besten entspricht.

a)

Eine Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts für B ist erforderlich, weil beide Kindeseltern derzeit nicht in der Lage sind, dieses zum Wohl ihrer Tochter gemeinsam auszuüben. Die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt voraus, dass zwischen den Eltern eine soziale tragfähige Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmung in am Kindeswohl auszurichtenden Entscheidungen besteht (BVerfG, FuR 2004, 405 f.). Daran fehlt es jedenfalls im Bereich der Aufenthaltsbestimmung. Beide Kindeseltern sind nicht in der Lage, sich darüber zu einigen, bei welchem Elternteil ihren zukünftigen Lebensmittelpunkt haben soll. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass es den Eltern in absehbarer Zeit gelingen wird, ihre Kommunikations- und Kooperationsbasis so weit wiederherzustellen, dass eine Einigung hierüber möglich ist. Das folgt aus dem Inhalt des Sachverständigengutachtens der Dipl.-Psych. I Y vom 29.10.2008 und den Äußerungen der Kindeseltern selbst im Senatstermin vom 5.5.2009.

b)

Der Senat geht nach Abwägung aller Umstände – in Übereinstimmung mit der Verfahrenspflegerin – davon aus, dass derzeit der Kindesvater besser geeignet ist, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B allein auszuüben.

Dabei kann vorausgesetzt werden, dass beide Kindeseltern unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität und Förderungsfähigkeit gleichermaßen erziehungsgeeignet sind. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Familiengerichts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen besteht auch eine tragfähige positive Bindung von B an beide Elternteile.

Gleichwohl sind beide Eltern derzeit in ihrer Erziehungsfähigkeit nicht unerheblich eingeschränkt.

aa)

Dem Kindesvater (Antragsteller) fehlt die für eine gedeihliche Entwicklung der gemeinsamen Tochter erforderliche Bindungstoleranz, d. h. die Fähigkeit, unbeschwerte Kontakte des Kindes zum anderen Elternteil zuzulassen und – im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten – aktiv zu fördern. Das folgt aus den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Frau Y in ihrem Gutachten vom 29.10.2008 und seiner gegenüber der Sachverständigen zum Ausdruck gebrachten negativen Einstellung gegenüber der Kindesmutter, die er bewusst oder unbewusst an die gemeinsame Tochter weitergibt. Seine fehlende Fähigkeit, aktiv am Zustandekommen von Umgangskontakten zwischen ? und ihrer Mutter mitzuwirken, wird außerdem durch sein Verhalten nach dem Wechsel des Kindes in seinen Haushalt bestätigt. Er hat es bislang nicht geschafft, der ihm zukommenden Vaterrolle dadurch angemessenen Ausdruck zu verleihen, dass er für einen regelmäßigen Umgang zwischen Tochter und Mutter Sorge getragen hat. Nach seinen eigenen Bekundungen hat er es B selbst überlassen, ob sie Kontakt mit der Mutter aufnimmt oder nicht. Eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Jugendamt hat in dieser Zeit bis heute nicht stattgefunden. Hilfestellung von außen und Beratungsgespräche im Jugendamt hat er bisher abgelehnt. Auf die Nichteinhaltung der vom Umgangspfleger bestimmten und von B nicht wahrgenommenen begleiteten Umgangskontakte am 3.3.2009 und am 10.3.2009 hat er nicht reagiert. Durch dieses Verhalten hat er aktiv zur Verfestigung des Beziehungsabbruchs zwischen B und ihrer Mutter beigetragen.

Ob der Antragsteller in der Lage ist, seine Erziehungsfähigkeit ohne fremde Hilfe wiederherzustellen, erscheint fraglich. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen, die durch die Äußerungen des Antragstellers im Senatstermin vom 5.5.2009 bestätigt werden, erkennt er nicht, dass sich B in einem extremen Loyalitätskonflikt befindet, den sie dadurch zu lösen versucht, dass sie sich mit ihrem Vater und seiner neuen Familie solidarisiert. Dieses Verhalten verwehrt es ihr, sich in Konfliktsituationen, die durch Streitigkeiten der Eltern untereinander hervorgerufen werden, für Umgangskontakte mit ihrer Mutter und ihrem Bruder auszusprechen. Der daraus resultierende Kontaktabbruch zur Kindesmutter birgt für sie die Gefahr des Verlustes einer wichtigen Primärbindung und kann – nach den überzeugend dargelegten Erkenntnissen der Sachverständigen – in der Zukunft zu ernst zu nehmenden Entwicklungsschäden im Hinblick auf ihr Selbstwertgefühl, ihre Lebensfähigkeit und ihre Beziehungsfähigkeit führen.

bb)

Die Erziehungsfähigkeit der Antragsgegnerin ist dadurch erheblich eingeschränkt, dass sie derzeit nicht in der Lage ist, mit B auf einer Ebene zu kommunizieren, die der bestehenden Mutter-Kind-Bindung gerecht wird und eine Wiederherstellung der zwischen ihr und B gestörten Vertrauensbasis erlaubt. Das folgt aus dem Inhalt der Anhörung der Kindesmutter und der Jugendlichen selbst. Beide haben übereinstimmend bekundet, dass sie über die ihre Beziehung belastenden Probleme, insbesondere über das Verhalten der Kindesmutter im Umgang mit den beiden Geschwistern, die Umstände der Rückgabe des Geburtstagsgeschenks der Mutter durch B im September 2008 und den nicht stattgefundenen Krankenhausbesuch der Antragsgegnerin im Mai 2008 nicht gemeinsam reden können. Die Kindesmutter bemängelt außerdem die fehlende Emotionalität der Tochter im Umgang mit ihr. Sie sieht sich ohne fremde Hilfe nicht in der Lage, die bestehenden Kontaktschwierigkeiten zu lösen. Deshalb kommt die Sachverständige, Frau Y, in der mündlichen Ergänzung ihres Gutachtens im Senatstermin am 5.5.2009 zu dem Ergebnis, dass – jedenfalls derzeit – eine Wiederaufnahme Bs in den Haushalt der Kindesmutter nicht dem Kindeswohl entspricht und gegen den erklärten Willen von B auch nicht durchsetzbar wäre.

Auf diese Weise trägt die Antragsgegnerin – wenn auch nicht schuldhaft – zum drohenden Verlust der für B wichtigen Primärbindung zu ihrer Mutter mit bei.

cc)

Unter diesen Umständen kommt dem geäußerten Willen von B, im Haushalt des Antragstellers wohnen zu bleiben, eine besondere Bedeutung zu.

Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die fehlende Bindungstoleranz des Antragstellers nicht zwangsläufig zu einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Antragsgegnerin führen muss. Für eine, die elterliche Sorge betreffende Entscheidung sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalls unter dem Gesichtspunkt der für das Kind am wenigsten schädlichen Alternative abzuwägen (vgl. Senat, FamRZ 2007, 1677). Die für B am wenigsten schädliche Alternative besteht darin, im Haushalt des Vaters wohnen zu bleiben. Das gilt jedenfalls dann, wenn es – wie von den Eltern vorgesehen – gelingt, die bestehenden Kommunikationsprobleme zwischen B und ihrer Mutter sowie ihrem Bruder mit Hilfe einer für sie geeigneten Therapie zu beseitigen und den Umgang zwischen ihr und der Antragsgegnerin sowie ihrem Bruder wiederherzustellen. Denn ein unmittelbarer Wechsel von B in den Haushalt der Kindesmutter scheidet – wie dargelegt – aus.

Die von der Antragsgegnerin befürwortete Möglichkeit einer Fremdunterbringung der gemeinsamen Tochter mit dem Ziel des Kontaktaufbaus zu ihrer Mutter und zu ihrem Bruder kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn einer Fremdunterbringung steht der erklärte Wille Bs entgegen.

Der Senat hält den von B geäußerten Willen für beachtlich.

Zwar setzt die Beachtung des geäußerten Willens eines Kindes voraus, dass dieser mit dem Kindeswohl in Einklang steht (vgl. BVerfG FamRZ 2005,1057, 1058) und – sofern es sich um manipulierte Äußerungen handelt – die wirklichen Bindungsverhältnisse zutreffend wiedergibt (vgl. BVerfG FamRZ 2001, 1057). Es muss daher in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die geäußerte Einstellung des Kindes auf subjektiv beachtlichen oder verständigen Beweggründen beruht (vgl. BGH FamRZ 1980, 131, 132; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 975, 977). Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Wille von B durch den Vater oder dessen Lebenspartnerin mitbeeinflusst ist. Das folgt aus den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 29.10.2008 und den Feststellungen zur fehlenden Bindungstoleranz des Antragstellers.

Die Möglichkeit der Beeinflussung ihres geäußerten Willens führt jedoch nicht zwangsläufig zu dessen Unbeachtlichkeit. Der geäußerte Kindeswille ist ein Akt der Selbstbestimmung der zur Selbständigkeit erzogenen und strebenden Person. Daraus folgt das verfassungsrechtliche Gebot, den Kindeswillen bei Sorgerechtsentscheidungen weitgehend zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist (vgl. OLG München FamRZ 2007, 753, 754). Soll ein entgegenstehender Wille keine Berücksichtigung finden, muss daher geprüft werden, ob das Kind in der Entwicklung seiner Persönlichkeit bereits so weit fortgeschritten ist, dass eine seinem Willen zuwiderlaufende Entscheidung eine Gefährdung seiner Entwicklung bedeuten könnte (vgl. BGH FamRZ 1980, a. a. O.). Außerdem müssen Feststellungen dazu getroffen werden, ob sein Widerstand durch geeignete erzieherische Maßnahmen überwunden werden kann (vgl. OLG Hamm FamRZ 1996, 363; OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1405). Die Voraussetzungen, die eine Entscheidung gegen den Willen des Kindes zulassen, liegen bei B nicht vor.

Der Senat ist nach Anhörung der Jugendlichen zu der Überzeugung gelangt, dass Bs Entwicklung aufgrund ihres Alters so weit fortgeschritten ist, dass eine andere Alternative als ein Verbleib im Haushalt des Antragstellers, insbesondere eine Fremdunterbringung, dem Wohl des Kindes widerspricht.

B ist mittlerweile 13 Jahre alt. Sie befindet sich nach den Bekundungen des Antragstellers – von deren Richtigkeit sich der Senat im Rahmen der Kindesanhörung selbst überzeugen konnte – bereits in der Pubertät. Bei Jugendlichen in diesem Alter, die sich im Stadium der Ablösung von den Eltern befinden, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die verstandesmäßige und seelische Reife so weit fortgeschritten ist, dass die Äußerung des persönlichen Willens ein von reflektierten Gründen getragener Akt der Selbstbestimmung ist.

Dass der Wille von B von reflektierten Gründen getragen ist, folgt aus dem Inhalt ihrer Aussagen im Rahmen ihrer Anhörung durch den Senat. Tatsächlich hat B subjektiv nachvollziehbare Gründe vorgebracht, die gegen eine Fremdunterbringung mit dem Ziel des Wechsels in den mütterlichen Haushalt sprechen. Dazu zählt nicht nur ihr derzeit gestörtes Verhältnis zu ihrem Bruder, dessen Verhalten von ihr – unabhängig davon, ob sexuell motivierte Übergriffe des Bruders gegen seine Schwester überhaupt stattgefunden haben – in ihrem subjektiven Erleben zumindest als unangenehm und belästigend empfunden worden ist. Maßgebend für ihre Entscheidung ist außerdem ihr derzeit gestörtes Verhältnis zu ihrer Mutter, das es ihr nicht erlaubt, offen über die für sie klärungsbedürftigen Umstände aus der Vergangenheit zu sprechen.

Dass Bs Wille – wie die Sachverständige in ihrem Gutachten ausführt – möglicherweise nicht zielorientiert ist, weil sie aufgrund der bestehenden Kommunikationsprobleme mit der Mutter die Beziehung zur Antragsgegnerin derzeit nicht realistisch wahrnehmen kann, verleiht ihrem geäußerten Willen kein geringeres Gewicht, denn es steht nicht zu erwarten, dass ihr Widerstand gegen einen Aufenthaltswechsel zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch geeignete erzieherische Mittel überwunden werden kann. Eine solche, gegen den erklärten Willen der Jugendlichen vorgenommene Maßnahme birgt – angesichts ihres fortgeschrittenen Alters und ihres Entwicklungsstandes – die Gefahr in sich, dass B sich in der fremden Umgebung nicht integrieren lässt und infolge der Missachtung ihres Willens in ihrem Selbstwertgefühl und in ihrer späteren Entwicklung geschädigt wird. Das wird bestätigt durch die nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen im Termin vom 5.5.2009. Dieser Gefahr lässt sich – auch mit therapeutischer Hilfe – nur schwer begegnen.

Der Senat ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass es für B am wenigsten schädlich ist, wenn sie im Haushalt des Antragstellers verbleibt und versucht wird, die bestehenden Kontaktschwierigkeiten zwischen ihr und ihrer Mutter, bzw. ihrem Bruder mit Hilfe einer – von den Beteiligten vorgesehenen – therapeutischen Hilfe zu überwinden, um B so die für sie wichtige Bindung an ihre Mutter zu erhalten.

2)

Im übrigen – hinsichtlich des Rechts auf Regelung der Umgangskontakte des Kindes mit dem nicht betreuenden Elternteil – war die gemeinsame elterliche Sorge wiederherzustellen, denn die Voraussetzungen für einen Entzug der elterlichen Sorge oder von Teilbereichen derselben gem. den §§ 1666, 1666a BGB liegen nicht vor.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob vor dem Hintergrund der zur Zeit stattfindenden Umgangskontakte zwischen B und ihrer Mutter und der Vereinbarung der Kindeseltern, B baldmöglichst einer Familientherapie zuzuführen, eine akute Gefahr für das geistige oder seelische Wohl des Kindes im Haushalt der Vaters besteht.

Jedenfalls hat die Weigerung Bs zur Zusammenarbeit mit dem Umgangspfleger gezeigt, dass der teilweise Entzug der elterlichen Sorge und die Einrichtung einer Umgangspflegschaft kein geeignetes Mittel zur Beseitigung einer möglichen Gefährdung darstellt. Bs Entwicklung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass gegen ihren Willen Umgangskontakte mit ihrer Mutter ohne Gefährdung ihrer Entwicklung nicht durchsetzbar erscheinen.

Es obliegt daher zuvörderst den Eltern und nicht dem Staat (der insoweit auf den Gebrauch von Zwangsmaßnahmen angewiesen ist), B in ihrem derzeit vorhandenen Willen zur Durchführung von Umgangskontakten mit ihrer Mutter zu stärken und zu verhindern, dass es erneut zu einem Abbruch der Umgangskontakte mit der Mutter kommt. Einen ersten Schritt in diese Richtung haben die Eltern bereits dadurch unternommen, dass sie im Senatstermin vom 5.5.2009 eine konkrete Umgangsregelung vereinbart haben, an die sich B – nach dem gemeinsamen Willen ihrer Eltern – zu halten hat, und dadurch, dass sie ihre Mitwirkung an der noch durchzuführenden Familientherapie für B zugesagt haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 13a Abs. 1, S. 1 FGG, 94 Abs. 3, S. 2 KostO. Bei der in sein Ermessen gestellten Entscheidung über die Gerichtskosten hat der Senat berücksichtigt, dass nach Erlass der angefochtenen Entscheidung neue entscheidungserhebliche Umstände hinzugetreten sind, die Gegenstand der weiteren Amtsaufklärung und der ergänzenden Begutachtung durch die Sachverständige waren.

OLG Hamm, Beschluss vom 14.05.2009
2 UF 63/09

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