OLG Frankfurt: Sorgerechtsentzug unter Beachtung des Kindeswillens

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,- Euro.

Der Mutter wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt A, O1 Schwäbisch Gmünd, bewilligt.

Dem Vater wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beordnung von Rechtsanwältin B, O2, bewilligt. Raten für die Prozesskosten werden festgesetzt in Höhe von 45,- Euro monatlich. Die erste Rate wird fällig nach Abschluss der Ratenzahlungsverpflichtung aus dem erstinstanzlichen Beschluss zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe.

Gründe

I.

C ist nunmehr 12 Jahre alt. Er hat zwei Halbgeschwister, nämlich D, geboren am …11.1989, und E, geboren am …9.1991. Seine Eltern haben sich im Jahre 2001 getrennt. Im Jahr 2002 wurde die Ehe geschieden. Eine Entscheidung zum Sorgerecht wurde nicht getroffen. Aufgrund von Konflikten mit der Mutter übersiedelte C im Einverständnis mit der Mutter im August 2004 zum Vater. Auch hier kam es jedoch zu erheblichen Konflikten, weshalb die drei Kinder im Juli 2006 zu den Großeltern, den Verfahrensbeteiligten zu 1) und 2), zogen. Seitdem besteht im Wesentlichen kein Kontakt zwischen C und seinen Eltern. Er lebt seither bei den Großeltern.

Unter dem 24.7.2006 leitete das Jugendamt der Stadt O3 ein – hier beigezogenes – familiengerichtliches Verfahren mit dem Ziel eines Entzuges des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern ein (Amtsgericht Frankfurt, Abt. Höchst, Az. 404 F 4269/06), da die Mutter mit einem Aufenthalt in der Kinder bei den Großeltern nicht (mehr) einverstanden war. In diesem Verfahren wurde C am 10.8.2006 persönlich angehört und sprach sich – wie auch seine beiden Brüder – für einen Verbleib bei seinen Großeltern aus. Das Familiengericht holte zudem ein psychologisches Gutachten ein, welches von der Diplom-Psychologin F unter dem 19.1.2007 erstattet worden ist.

Diese kam in testpsychologischen Untersuchungen unter anderem zu dem Ergebnis, dass C sich als jemand erlebe, der seinen eigenen Willen durchaus kontrollieren könne, er sehr wenig von außen beeinflusst werde und sich auch nicht als von außen bestimmt erlebe. Auch habe er ein geringes Bedürfnis, sich entsprechend sozial erwünschter Erwartungen anderer zu verhalten. Es sei deswegen nicht davon auszugehen, dass seine Weigerungshaltung gegenüber der Mutter primär durch die Beeinflussung beispielsweise der Eltern zu Stande gekommen sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Willensäußerung C über eine lange Zeitdauer gleichbleibend und sich auch gegenüber verschiedenen Personen nicht geändert habe. Ein Umzug zur Mutter entgegen seinem erklärten und autonomen Kindeswillen würde bei einem Kind in C Alter und bei der Entstehungsgeschichte seiner Willensäußerung sein Kindeswohl gefährden, denn es seien als mögliche Reaktionen negative Folgen für seine psychische Entwicklung zu erwarten im Sinne von erlebter Hilflosigkeit, Depressionen oder aggressiven Verhaltensweisen. Auch stellten unter anderem seine Großeltern einen Zuverlässigkeitsfaktor dar, der ihm genommen würde. Sollte eine Vollmacht seitens der Mutter nicht erteilt werden – so die Sachverständige – müsste das Sorgerecht insgesamt entzogen werden.

Daraufhin erteilte die Mutter am 15. März 2007 dem Großvater eine Vollmacht für die gesamte Personensorge und erklärte ihr Einverständnis mit einem Verbleib C bei den Großeltern, was zur Beendigung des Verfahrens führte.

C befindet sich seit Mai 2007 unter anderem wegen „Akuter Belastungsreaktion“ und „Anpassungsstörung“ auf Anraten des Jugendamtes einmal wöchentlich in ambulanter Therapie. Am 7. Dezember 2007 attestierte die behandelnde Fachärztin, dass C langsam beginne, sich emotional zu stabilisieren.

Im vorliegenden Verfahren haben die Großeltern unter dem 25. Oktober 2007 beim Familiengericht zunächst die „Erteilung des Sorgerechts“ für E und C begehrt. Sie haben am 13. Dezember 2007 ihr Einverständnis mit der Einsetzung einer neutralen Person als Vormund erklärt. Das Amtsgericht hat die Verfahrensbeteiligten am 13. Dezember 2007 und C am 03. Januar 2008 persönlich angehört. C hat erklärt, bei den Großeltern bleiben zu wollen. Zwar bekäme er die Streitigkeiten zwischen den Erwachsenen mit, die Großeltern würden aber nicht schlecht über die Mutter reden.

Einen Kontakt zur Mutter wolle er nicht.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Amtsgericht den Eltern die elterliche Sorge entzogen und einen Berufsvormund eingesetzt. Die Voraussetzungen des § 1666 BGB seien erfüllt. Die Eltern würden dadurch, dass sie trotz des eindeutig geäußerten Kindeswillens mit C weiterem Verbleib bei den Großeltern nicht einverstanden seien und die Herausgabe verlangen würden, das geistig-seelische Wohl des Kindes erheblich gefährden.

Hiergegen wendet sich ausschließlich die Mutter mit ihrer Beschwerde. Zur Begründung führt sie unter anderem aus, es bestünden Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit der Großeltern. Diese würden C erheblich gegen sie beeinflussen. Nicht ein Umzug des Minderjährigen zu ihr würde dessen Wohl gefährden, sondern sein Verbleib bei den Großeltern. Diese würden auch den Kontakt zur Mutter unterbinden. Sie würde akzeptieren, dass ein Dritter das Sorgerecht erhalte, jedoch nur unter der Bedingung, dass C nicht bei den Großeltern aufwachse.

Im Rahmen seiner oberlandesgerichtlichen Anhörung durch den vorbereitenden Einzelrichter am 15. Oktober 2008 hat C erklärt, er wolle keinen Kontakt zu seinen Eltern. Ihm gehe es gut, auch weil “ich zu Hause bin und Oma und Opa mich immer gut behandeln“. Für die Zukunft könne er sich nicht vorstellen, dass seine Eltern das Sorgerecht haben. Er hat des weiteren ausgeführt:
„ Ich weiß auch, was das ist: Wenn jemand das Aufenthaltsbestimmungsrecht hat, dann kann der entscheiden, wo ich leben muss. Und bei dem Sorgerecht kann er dann auch entscheiden, wie das bei den Ärzten ist und mit der Schule. Ich finde das eigentlich ganz schön bekloppt, dass meine Eltern das haben wollen, die haben mich doch 2 ½ Jahre gar nicht gesehen. Wie wollen die denn wissen, was am Besten für mich ist? Die wissen doch gar nicht, was mich interessiert. (…)“.

Die Mutter hat bei ihrer persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren insbesondere erklärt, für den Fall der Wiedererlangung des Sorgerechts begehre sie nunmehr keine unmittelbare Herausgabe des Kindes an sich, sondern sie wolle C in einer vollstationären Einrichtung in O4 unterbringen, um ihn von dem schädlichen Einfluss der Großeltern zu befreien, zumal der Großvater ein Alkoholproblem habe. Ihr sei klar, dass dies C erst einmal „aus den Angeln heben“ werde. Langfristig sei dies jedoch die beste Lösung für ihn. Der Vater unterstützt das Vorhaben der Mutter. Er habe das Sorgerecht ohnehin an diese „abgeben“ wollen.

Die Großeltern haben übereinstimmend bekundet, dass es C bei ihnen gut gehe und er sich zunehmend stabilisiere. Eine Beeinflussung des Kindes liege nicht vor. C wolle von sich aus keinen Kontakt zu den Eltern. Der Großvater habe im Jahre 1976 eine Alkoholtherapie gemacht und sei 1979/1980 noch einmal rückfällig geworden. Seitdem lebe er abstinent.

Das Jugendamt vertritt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Auffassung, dass der Wille des Kindes auf Grund seiner Intensität und Stabilität ernst zu nehmen sei.

Das Kindeswohl stehe der Beachtung des Kindeswillens auch nicht entgegen. Eine stationäre Unterbringung Cs, wie die Mutter sie vorschlage, komme grundsätzlich nur als letztes Mittel bei Vorliegen einer massiven Kindeswohlgefährdung in Betracht.

Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Das Wohl des Kindes sei bei den Großeltern nicht gefährdet. Vielmehr würde das Kind traumatisiert, wenn der Wille gebrochen werde.

Vormund und Verfahrenspflegerin teilen die Auffassung des Jugendamtes. Nach Ansicht der Verfahrenspflegerin ziehe die Nichtbeachtung des Kindeswillens vorliegend die Gefahr einer massiven Schädigung des Kindeswohls nach sich.

II.

Die nach § 621 e ZPO statthafte und vorliegend zulässige befristete Beschwerde der Kindesmutter hat in der Sache keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Das Amtsgericht hat ihr zu Recht die elterliche Sorge entzogen, weil die Voraussetzungen des § 1666 BGB erfüllt sind und mildere Mittel nicht geeignet sind, die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden.

1. Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwehr einer geistigen oder seelischen Gefährdung des Kindeswohls erforderlich sind, wenn die Eltern nicht gewillt sind, die Gefahr abzuwenden. Zu den zu treffenden Maßnahmen gehört unter anderem die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge (vgl. § 1666 Abs. 3 Ziff. 6 BGB). Maßnahmen, die mit der Trennung des Kindes verbunden sind, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht durch andere Weise begegnet werden kann (vgl. § 1666 a BGB).

Die Auslegung der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe „Kindeswohl“, „Gefährdung“ und „erforderliche Maßnahmen“ ist geprägt von der verfassungsrechtlichen Ausgangssituation. Hiernach ist Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Elternrecht besteht mithin nicht um seiner selbst Willen, sondern zum Wohle der Kinder. Es vermittelt daher keinen „ungebundenen Machtanspruch“ der Eltern gegenüber ihren Kindern, sondern die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Elternrechts gilt in erster Linie dem Schutz des Kindes (vgl. BVerfGE 61, 358 <371>; 72, 155 <172>). Das Kindeswohl ist mithin der Richtpunkt für den auch den Familiengerichten durch die Verfassung übergebenen Auftrag des staatlichen Wächteramtes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>). Zudem ist das Kind selbst Grundrechtsträger, denn ihm steht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 i.V.m. Art. 2 GG zur Seite (vgl. BVerfGE, a.a.O.).

Im Rahmen der Anwendung der einfachgesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen für einen Entzug der elterlichen Sorge ist vor diesem Hintergrund eine verfassungskonforme Auslegung geboten und daher zum einen einzubeziehen, dass die Verfassung nach einer Beachtung entstandener kindlichen Bindungen verlangt (vgl. BVerfGE 68, 176 <188>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts mithin dann aufrechtzuerhalten, wenn das Kind neue Bezugspersonen gefunden hat und die Trennung von ihnen als schweren seelischen Schock empfinden würde (vgl. BVerG, a.a.O; BVerfGE 72, 122ff.). Überdies muss das Elternrecht insbesondere dann zurücktreten, wenn die Herausgabe des Kindes nicht an die Eltern selbst begehrt wird (vgl. nur Palandt-Diederichsen, § 1632 Rn. 16 m.w.Nachw.).

Zum anderen sind der Bedeutung und Tragweite des Elternrechts über die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Kindeswohls auch durch den Kindeswillen Grenzen gesetzt. Denn der Wille des Kindes ist grundsätzlich zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (vgl. BVErfGE 55, 171 <182>). Das Kind ist bei jeder Entscheidung des Familiengerichts in seiner Individualität und mit seinem Willen vor allem auch deswegen einzubeziehen, weil familiengerichtliche Entscheidungen maßgeblichen Einfluss auf sein künftiges Leben nehmen und es damit unmittelbar betroffen wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2008, 1737 <1738>; vgl. auch Kammergericht, FamRZ 2004, S. 483). Dieser Gesichtspunkt gewinnt mit zunehmendem Alter und zunehmender Einsichtsfähigkeit des Kindes an Bedeutung, da es sich nur so zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person entwickeln kann (vgl. BVerfG, FamRZ 2007, 105 <106>;FamRZ 2007, 1078 <1079>; FamRZ 2008, 845 <848>; FamRZ 2008, 1737 <1738>).

2. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe führt eine Gesamtabwägung der maßgeblichen Umstände dazu, dass der Mutter die elterliche Sorge zu entziehen ist, weil anderenfalls das Wohl des Kindes C erheblich gefährdet wäre. Denn die Mutter strebt bei Übertragung des Sorgerechts eine Herausnahme C aus seinem gefestigten Lebensumfeld gegen seinen mehrmals erklärten Willen und eine vorübergehende Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung an.

a) C hat sich nach Überzeugung des Senats bei seinen Großeltern gut integriert. Dies ergibt sich aus dem in der persönlichen Anhörung nach § 50 b FGG gewonnenen Eindruck, der Stellungnahme des Jugendamtes und der Verfahrenspflegerin sowie dem Bericht des Vormundes. Nicht zuletzt findet dieser Eindruck auch seine Bestätigung durch das im Vorverfahren in überzeugender und nachvollziehbarer Weise erstattete Sachverständigengutachten. Bereits im Januar 2007 hat die Diplom-Psychologin F festgestellt, dass die Großeltern für C einen großen Zuverlässigkeitsfaktor bedeuten. Die Stellungnahmen des Jugendamtes, der Verfahrenspflegerin und des Vormundes bestätigen, dass dies auch heute so ist. Sie zeigen, dass sich C inzwischen – auch durch den Einfluss der ambulanten Therapie – konsolidiert und positiv entwickelt hat. Seine schulischen Leistungen sind sehr zufriedenstellend. Auch seine persönliche Anhörung beim Oberlandesgericht hat einen ausgeglichen und offenen jungen Menschen offenbart, dem es gelungen ist, seine Gedanken und Überlegungen in einer sehr altersentsprechenden Weise transparent zu machen. Bei seinen Großeltern hat C nunmehr trotz mehrjähriger Probleme, die anfänglich geprägt waren von der Trennung der Eltern, dem Umzug zum Vater und der Übersiedlung zu den Großeltern, einen festen Platz gefunden. Ein Lebensumstand, den die Sachverständige F bereits vor knapp zwei Jahren als so bedeutend erachtet hat, dass er erhaltenswert ist. Nunmehr hat sich diese Situation – wie den vorliegenden Stellungnahmen und dem in der persönlichen Anhörung des Kindes gewonnenen Eindruck zu entnehmen ist – durch den weiteren Zeitablauf und die damit einhergehende Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse noch verfestigt.

Es kommt hinzu, dass C sich mehrfach und eindeutig für eine Beibehaltung der tatsächlichen Situation ausgesprochen hat. Die Notwendigkeit einer Respektierung C als eigenständige Persönlichkeit verlangt im Lichte der verfassungsrechtlichen Ausgangssituation danach, diesem Willen des 12 Jahre und 7 Monaten alten Menschen das gebotene Gewicht einzuräumen, weil er nicht nur mehrfach in unterschiedlichen Gesprächssituation und konstant geäußert wurde, sondern ihm auch nachvollziehbare Erwägungen zu Grunde liegen, C nach seiner persönlichen Entwicklung in der Lage ist, seinen Willen nach vernünftigen Erwägungen zu bilden und eine Beachtung des geäußerten Willens seinem Wohl nicht entgegensteht.

C hat sich in den zwei Gesprächen mit dem Familienrichter erster Instanz, im Gespräch mit der vormaligen Sachverständigen, in Gesprächen mit dem Jugendamt, in mehreren Gesprächen mit der Verfahrenspflegerin und seinem Vormund und zuletzt auch bei seiner Anhörung vor dem Oberlandesgericht eindeutig positioniert, seinen Lebensmittelpunkt beibehalten zu wollen. Er war in dieser Hinsicht nach den Erkenntnissen des Senats niemals zweifelnd oder schwankend. Seine Erwägungen, nämlich die Beibehaltung der derzeit von ihm als positiv empfundenen Lebensumstände und das damit verbundene „zur Ruhe kommen“ sind vor dem Hintergrund seiner bisherigen Lebensumstände und der innerfamiliären Konflikte beachtlich und nachvollziehbar. Er ist damit nicht nur Indiz für die zu den Großeltern in den vergangenen Jahren gewachsenen Bindungen, sondern auch Ausdruck einer bewussten Eigenentscheidung (vgl. hierzu nur Staudinger-Coester, § 1666 Rn. 72ff.). Anhaltspunkte dafür, dass der von ihm geäußerte Wille einer Beibehaltung der tatsächlichen Lebensumstände bei den Großeltern seinem Wohl nicht entspricht, sind in keiner Weise ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich vor allem nicht aus der Behauptung der Mutter, der Großvater habe ein Alkoholproblem, haben doch die Berichte von Jugendamt, Vormund und Verfahrenspflegerin insoweit keinerlei Hinweise gegeben, die diese Behauptung stützen.

Auch ist der Senat der Überzeugung, dass der Wille des Kindes nicht etwa deswegen unbeachtlich sein könnte, weil er – so die Mutter – unter Beeinflussung der Großeltern zustande gekommen sei. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob und inwieweit ein auf Beeinflussung beruhender Kindeswille unbeachtlich sein könnte.

Denn eine Disqualifizierung des Kindeswillens kommt in diesen Fällen überhaupt nur in Betracht, wenn auf Grund von Manipulation der geäußerte Wille des Kindes die wirklichen Bindungsverhältnisse nicht zutreffend wiedergeben würde (vgl. nur BVerfG, FamRZ 2001, S. 1057), wofür vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Zumal auch durch Beeinflussung echte und schützenswerte Bindungen entstehen können und Erziehung immer auch mit Beeinflussung einhergeht (vgl. Staudinger-Coester, § 1666 Rn. 76; siehe auch Zitelmann, Kindeswohl und Kindeswille im Spannungsfeld von Pädagogik und Recht, S. 272). Maßgeblich ist vielmehr, dass es für die Annahme einer Manipulation des Kindeswillens keine objektiven Anhaltspunkte gibt. Dieser Aspekt war bereits Gegenstand der gutachterlichen Äußerung der Sachverständigen F im Vorverfahren, die in überzeugender Weise darzulegen verstand, dass schon der vor zwei Jahren geäußerte Kindeswille auf Grund der Persönlichkeitsstruktur C nicht das Ergebnis einer Manipulation durch die Großeltern gewesen ist. Aktuelle Anhaltspunkte, beispielsweise im Sinne einer Verursachung oder Förderung der gegen die Eltern gerichteten Weigerungshaltung des Kindes waren auch auf Grund des Ergebnisses der persönlichen Anhörung der Großeltern und des Kindes sowie mit Blick auf die Stellungnahmen von Jugendamt, Verfahrenspflegerin und Vormund, die alle sozialpädagogisch qualifiziert sind, in keiner Weise zu erkennen.

Nach alledem stellt die von der Mutter angestrebte – und vom Vater unterstützte – Herausnahme aus seinem bisherigen Lebensumfeld, die zugleich zu seiner vorübergehenden Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung führen soll, eine Gefährdung seines Wohls dar. Und dies nicht nur, weil damit die Auflösung von gewachsenen und schützenswerten Bindungen einhergeht, sondern auch, weil damit denknotwendig eine Nichtbeachtung des Kindeswillens verbunden ist, die nach den nachvollziehbaren Feststellungen der Diplom-Psychologin F vom Januar 2007 für sich genommen bereits vor zwei Jahren die Gefahr von negativen Folgen für seine psychische Entwicklung im Sinne von erlebter Hilflosigkeit, Depressionen oder aggressiven Verhaltensweisen nach sich zog. Dies entspricht auch den Grunderkenntnissen der Entwicklungspsychologie (vgl. nur Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, S. 78f.), wobei sich die genannten Gefahren auf Grund des Zeitablaufs und der Verfestigung des Willens noch erhöht haben.

Es kommt noch hinzu, dass die Mutter eine Lösung anstrebt, von der sie zum einen selbst der Auffassung ist, sie werde C „aus den Angeln heben“ und die zum anderen unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Ermittlungen des Senats in keiner Weise indiziert ist. Eine Hilfe zur Erziehung im Sinne einer Unterbringung des Kindes in einer vollstationären Einrichtung nach § 34 SGB VIII unterliegt nicht nur nach Erfahrung des Senats, sondern auch nach der Stellungnahme des Jugendamts als sozialpädagogischer Fachbehörde jedenfalls strengen Voraussetzungen (vgl. auch Wiesner, SGB VIII, § 34 Rn. 34), die hier nicht ersichtlich sind. Entsprechende Überlegungen der Mutter, die ihre Ursache nach Überzeugung des Senats vor allem in dem tiefgreifenden Konflikt zu den Großeltern finden, sind nicht hinzunehmen, weil sie das Wohl C im Ergebnis in Gänze unberücksichtigt lassen. Insbesondere fehlt es an der gebotenen Anerkennung der Bedeutung des Kindeswillens, die im Vorverfahren noch zu einer von der Mutter dem Großvater erteilten Vollmacht geführt hat. Überdies respektiert das beabsichtigte Vorgehen die im Leben von C eingetretenen tatsächlichen Verhältnisse nicht in der gebotenen Weise.

Gleichwohl ist gut nachzuvollziehen, dass die Mutter grundsätzlich eine Verbesserung ihres Verhältnisses zu C anstrebt. Eine Grundlage kann sie hierfür jedoch erst schaffen, wenn sie die von ihm als positiv und wichtig empfundenen Lebensverhältnisse akzeptiert und nicht immer wieder in Frage stellt. Insoweit war es ihr im Rahmen der persönlichen Anhörung im Ergebnis nicht möglich zu erkennen, dass sie C zwar seit mehreren Jahren nicht gesehen hat, sie jedoch über die lange Zeit geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen über seinen Lebensmittelpunkt für ihn in negativer und bedrohlicher Weise existent ist. Sie verkennt zudem, dass sich eine Normalisierung der Verhältnisse nicht erzwingen lässt und eine erzwungene Übersiedelung des Kindes zu ihr erst recht geeignet ist, zu einer kompletten Kontaktverweigerung zu führen (vgl. nur Wallerstein/Lewis/ Blakeslee, Scheidungsfolgen – Die Kinder tragen die Last, Eine Langzeitstudie über 25 Jahre, S. 201; Kölch/Fegert, FamRZ 2008, S. 1573 <1578>).

b) Mildere Mittel als der Entzug der elterlichen Sorge, sind nicht in gleicher Weise geeignet, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden:
So scheidet ein teilweiser Entzug des Sorgerechts ebenso aus wie der grundsätzlich vorrangige Erlass einer Verbleibensanordnung im Sinne von § 1632 Abs. 4 BGB (vgl. BVerfG, FamRZ 1989, S. 145).

Zum einen berührt die von der Mutter angestrebte Herausnahme C aus seinem Lebensumfeld wesentliche Teilbereiche der elterlichen Sorge. Denn diese Maßnahme verlangt insbesondere umfassende Entscheidungen auf dem Gebiet der gesamten Personensorge im Sinne von § 1631 Abs. 1 BGB (Aufenthaltsbestimmung, Pflege, Erziehung und Beaufsichtigung). Zum anderen besteht zwischen der Mutter und den Großeltern als tatsächlichen Betreuungspersonen des Kindes ein derartig tiefgreifende Zerwürfnis, dass mit einer Beibehaltung von Teilbereichen der elterlichen Sorge ein hohes Konfliktpotential verbunden wäre, welches sich mittelbar erheblich nachteilig auf das Wohl des Kindes in einer Weise auswirken würden, dass auch insoweit die Schwelle des § 1666 BGB überschritten ist. Unbeschadet dessen ist in die Gesamtabwägung auch insoweit der Wille C einzubeziehen, der aus nachvollziehbaren Gründen eine Sorgerechtsinhaberschaft der Mutter derzeit nicht möchte.

c) Das Verfahren ist entscheidungsreif. Weiterer Ermittlungen bedarf es nicht. Vielmehr besteht entsprechend § 300 Abs. 1 ZPO eine Pflicht zur Entscheidung.

Das Verfahren, welches den Aufenthalt des Kindes betrifft, ist nicht nur vorrangig, sondern auch beschleunigt zu bearbeiten (vgl. § 50 e Abs. 1 FGG). Der Gesetzgeber ist damit den Forderungen der Rechtswissenschaft und letztlich auch des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 961ff.) nach einer besonderen Berücksichtigung der Bedeutung des kindlichen Zeitempfindens und der damit zusammenhängenden Gefahren der faktischen Präjudizierung sowie der mit dem Verfahren einhergehenden besonderen psychischen Belastungen, gerade auch für das Kind, gefolgt. Vor diesem Hintergrund ist in kindschaftsrechtlichen Verfahren vor der Aufnahme weiterer Ermittlungen eine Abwägung zwischen diesen Nachteilen der Verfahrensverzögerung einerseits und den Vorteilen des zu erwartendem Erkenntnisgewinns andererseits vorzunehmen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bedarf es vorliegend keiner weiteren Ermittlungen, insbesondere nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Es hat sich gezeigt, dass C durch die gerichtlichen Verfahren in besonderem Maße belastet war. Dies offenbart sich nicht nur durch die attestierten Überlastungsreaktionen, sondern auch durch seine Reaktionen auf die Notwendigkeit immer erneuter Befragung und sein wiederholt geäußertes Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit. Die durchgeführten Ermittlungen bilden, insbesondere mit Blick auf die beigezogenen Verfahrensakten, den schriftsätzlichen Vortrag der Verfahrensbeteiligten und das Ergebnis der persönlichen Anhörungen, eine hinreichende Entscheidungsgrundlage.

3. Soweit mit der angegriffenen Entscheidung zugleich dem Vater die elterliche Sorge entzogen worden ist, hat dieser ein Rechtsmittel nicht eingelegt. Auch ist die Auswahl des Vormundes nicht angegriffen. Einen Anlass zur Beanstandung der familiengerichtlichen Entscheidung sieht der Senat aus den obengenannten Gründen ohnehin nicht.

III.

Die Kostenentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 131 Abs. 3 KostO und § 13 a Abs. 1 FGG. Die Wertfestsetzung beruht auf § 131 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO. Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfeanträge folgt §§ 114 ff. ZPO.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.11.2008
1 UF 72/08

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