BVerfG: Elterliche Sorge für Kinder aus geschiedener Ehe

1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. März 2003 – 15 UF 264/02 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an einen anderen Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts zurückverwiesen.

2. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu ersetzen.

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
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BVerfG: Übertragung der alleinigen Sorge auf den nicht ehelichen Vater

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Mit der Verfassungsbeschwerde begehrt der Vater eines nichtehelich geborenen Kindes die Übertragung des alleinigen Sorgerechts für sein Kind. Dabei wendet er sich gegen die gesetzlichen Regelungen der § 1626 a Abs. 2, § 1672 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Der Beschwerdeführer ist der Vater eines 1994 geborenen Kindes, mit dessen Mutter er in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen lebte. Im Mai 1998 trennten sich die Eltern. Das Kind lebt seitdem bei seiner Mutter.

Seinen Antrag, ihm die Sorge für das Kind zu übertragen, wiesen das Amtsgericht ebenso wie das Oberlandesgericht zurück: Dem Antrag könne nicht entsprochen werden, weil dies nach der Gesetzeslage nur mit hier nicht vorliegender Zustimmung der Mutter möglich sei. § 1626 a Abs. 2, § 1672 Abs. 1 BGB seien verfassungsgemäß. Für einen Sorgerechtswechsel auf den Beschwerdeführer nach § 1666 BGB lägen die Voraussetzungen ersichtlich nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen rügt. Er hält § 1626 a BGB Abs. 2, § 1672 Abs. 1 Satz 1 BGB für verfassungswidrig.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Die Sache hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die entscheidungserheblichen Fragen, insbesondere zur Zuweisung des elterlichen Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern gemäß § 1626 a BGB, sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inzwischen geklärt (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003 – 1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01 – = FamRZ 2003, S. 285),.

2. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde dem Gebot der hinreichenden Substantiierung (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 i.V.m. § 92 BVerfGG) in der erforderlichen Weise Rechnung trägt. Denn sie ist unbegründet.

a) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG.

(1) Soweit das Amts- und Oberlandesgericht die Übertragung des alleinigen Sorgerechts für das Kind auf den Beschwerdeführer nach § 1672 Abs. 1 Satz 1 BGB abgelehnt haben, weil die hierfür nach dieser Vorschrift erforderliche Zustimmung der Mutter nicht vorliege und nicht gerichtlich ersetzt werden könne, ist dies mit dem Elternrecht des Beschwerdeführers nach Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 29. Januar 2003 – 1 BvL 20/99, 1 BvR 933/01 – entschieden, dass es nicht gegen das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes nach Art. 6 Abs. 2 GG verstößt, dass das Kind nach § 1626 a Abs. 2 BGB zunächst rechtlich allein der Mutter zugeordnet und grundsätzlich ihr die Personensorge übertragen ist (vgl. Urteil vom 29. Januar 2003, S. 30, 33-35 des amtl. Umdrucks).

Vor diesem Hintergrund bestehen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 1672 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach dann, wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und die elterliche Sorge nach § 1626 a Abs. 2 BGB der Mutter zusteht, der Vater nur mit Zustimmung der Mutter die alleinige Übertragung der elterlichen Sorge auf sich beantragen kann. Eine Sorgerechtswechsel kann – anders als die gemeinsame Sorge beider Eltern – nicht zur Verfestigung der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen beitragen, sondern ersetzt die bisherige Sorgetragung eines Elternteils durch die des anderen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber eine solche Änderung mit § 1672 Abs. 1 BGB nicht nur an die Zustimmung der Mutter als bisheriger Sorgerechtsinhaberin bindet, sondern zur Voraussetzung dafür macht, dass die Übertragung der Alleinsorge dem Kindeswohl dient (§ 1672 Abs. 1 Satz 2 BGB), und sie im Übrigen gemäß § 1666 BGB von einer Kindeswohlgefährdung abhängig macht.

(2) Es ist im Übrigen weder hinreichend vorgetragen, noch erkennbar, dass Kindeswohlgesichtspunkte den vom Beschwerdeführer begehrten Sorgerechtswechsel begründen könnten. Soweit das Oberlandesgericht eine Sorgerechtsübertragung nach § 1666 Abs. 1 BGB abgelehnt hat, behauptet der Beschwerdeführer auch nicht, die Entscheidung sei mangels Annahme einer Kindeswohlgefährdung fehlerhaft.

Veranlassung zu einer anderen Bewertung gibt auch nicht der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in der genannten Senatsentscheidung den Gesetzgeber verpflichtet hat, für die Väter, die sich noch vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 von der Mutter getrennt hatten, die Möglichkeit einzuräumen, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob trotz entgegenstehendem Willen der Kindesmutter unter Berücksichtigung des Kindeswohls eine gemeinsame elterliche Sorge zu begründen ist (aaO, S. 51). Der Beschwerdeführer hat im der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Verfahren nicht eine gemeinsame Sorgetragung mit der Mutter, sondern die Alleinsorge für das Kind begehrt. Sollte er nunmehr eine gemeinsame Sorgetragung anstreben, müsste er ein neues Verfahren in Gang setzen.

b) Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar

BVerfG, Beschluss vom 23.04.2003
1 BvR 1248/99

BVerfG: Sorgerecht der Väter nicht ehelicher Kinder

1. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater (so genannter biologischer Vater) in seinem Interesse, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Ihm ist verfahrensrechtlich die Möglichkeit zu eröffnen, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht.

2. Auch der biologische Vater bildet mit seinem Kind eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst auch das Interesse am Erhalt dieser Beziehung. Es verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 GG, den so mit seinem Kind verbundenen biologischen Vater auch dann vom Umgang mit dem Kind auszuschließen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient.

3. Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 1600, 1685 BGB, § 1711 Abs. 2 BGB a.F.
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BVerfG: Gemeinsames Sorgerecht bei nicht ehelichen Kindern

  1. Das Kindeswohl verlangt, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es verfassungsgemäß, das nichteheliche Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter zuzuordnen.
  2. Die durch § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eröffnete Möglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung beruht auf einem Regelungskonzept für die elterliche Sorge, das unter Kindeswohlgesichtspunkten den Konsens der Eltern über die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung macht. Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass damit dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht ausreichend Rechnung getragen wird.
  3. In Fällen, in denen die Eltern mit dem Kind zusammenleben und beide ihre Kooperationsbereitschaft schon durch gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck gebracht haben, durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Eltern die nunmehr bestehende gesetzliche Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgetragung in der Regel nutzen und ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen auch rechtlich absichern.
  4. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahme auch vor der Wirklichkeit Bestand hat. Stellt sich heraus, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist, wird er dafür sorgen müssen, dass Vätern nichtehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie zusammenleben, ein Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet wird, der ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung trägt.
  5. Eltern, die mit ihrem nichtehelichen Kind zusammengelebt, sich aber noch vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 getrennt haben, ist die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung einzuräumen, ob trotz entgegenstehendem Willen eines Elternteils eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht entgegensteht

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