BGH: Sekundäre Darlegungslast hinsichtlich ehebedingter Nachteile

a) Zur sekundären Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten hinsichtlich ehebedingter Nachteile (hier: ehebedingte Übersiedlung einer Diplomingenieurin für Postbetrieb und Ökonomie von Tschechien nach Deutschland).

b) Beruft sich der Unterhaltsberechtigte für seinen hypothetischen beruflichen Werdegang ohne die Ehe auf eine regelmäßige, vorwiegend von der Berufserfahrung abhängige Entwicklung im vor der Eheschließung erlernten Beruf, so trifft ihn im Gegensatz zu einem behaupteten beruflichen Aufstieg keine erweiterte Darlegungspflicht (im Anschluss an Senatsurteile vom 20. Oktober 2010 XII ZR 53/09 FamRZ 2010, 2059 und vom 4. August 2010 XII ZR 7/09 FamRZ 2010, 1633).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Botur

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 2. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 25. Oktober 2011 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.

Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) ist deutscher Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) hat die tschechische Staatsangehörigkeit. Die Parteien schlossen im Juli 1994 in Prag die Ehe und siedelten später nach Deutschland über. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Im Juli oder August 2007 trennten sich die Parteien. Die im vorliegenden Verbundverfahren auf den im August 2008 zugestellten Antrag ausgesprochene Scheidung ist seit Februar 2010 rechtskräftig.

Die 1966 geborene Ehefrau erwarb im Jahr 1989 in der damaligen Tschechoslowakei nach Abitur und Studium den Abschluss einer Diplomingenieurin für Postbetrieb und Ökonomie. Anschließend arbeitete sie bei der staatlichen Post- und Telekommunikationsverwaltung (Telekom) in Prag in der Finanzbuchhaltung, zunächst als Sachbearbeiterin, nach einem Jahr vertrat sie vorübergehend die Abteilungsleiterin. Weil sie nach deren Rückkehr keine Aufstiegsmöglichkeiten sah, arbeitete sie in der Folgezeit „schwarz“ in der Buchhaltung eines Bauunternehmens, wo sie nach ihrem Vorbringen bessere Verdienstmöglichkeiten sah. 1993 lernten sich die Parteien kennen. Nach der Heirat zogen sie im Herbst 1994 nach Wolfsburg. Während des Zusammenlebens führte die Ehefrau den Haushalt und war nicht erwerbstätig. Nach der Trennung arbeitete sie zunächst teilschichtig als Verkäuferin und Kassiererin in einem Lebensmittelmarkt, seit Ende 2009 arbeitet sie mit 120 Stunden im Monat (zuzüglich Überstunden) in einer Tankstelle.

Der 1964 geborene Ehemann ist bei der V. AG beschäftigt und erzielt ein monatliches bereinigtes Nettoeinkommen von 3.423 €. Er wohnt im ehemaligen Familienheim.

Das Amtsgericht hat den Ehemann im Verbundurteil zu einem zeitlich gestaffelten Unterhalt verurteilt und den Wegfall des Unterhalts ab Juli 2011 angeordnet. Auf die Berufung der Ehefrau hat das Berufungsgericht den Ehemann zum Unterhalt von zunächst monatlich rund 1.220 € und nach einer stufenweisen Herabsetzung schließlich von monatlich 320 € ab März 2013 verurteilt. Die Befristung hat es entfallen lassen.

Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Ehemanns, der die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis 31. August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 XII ZB 197/10 FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Ehefrau ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt zu. Dieser könne wegen fortbestehender ehebedingter beruflicher Nachteile noch nicht befristet werden, weil nicht absehbar sei, ob und gegebenenfalls wann die Ehefrau diese Nachteile noch ausgleichen könne.

Der nach den beiderseitigen Einkommen bemessene Unterhaltsanspruch stehe der Ehefrau nur im ersten Jahr nach Rechtskraft der Scheidung ungekürzt zu. Der Ehefrau müsse zunächst Gelegenheit gegeben werden, sich auf die eingeschränkten finanziellen Verhältnisse nach der Scheidung allmählich einzustellen. Eine Abschmelzung des Unterhaltsanspruchs im Jahresrhythmus um jeweils 300 € bis zur Höhe des angemessenen Bedarfs nach § 1578 b BGB sei gerechtfertigt, weil die mit 13 (richtig: 14) Jahren relativ kurze Dauer der kinderlos gebliebenen Ehe keinen unbefristeten ungekürzten nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhalt rechtfertige. Von der Ehefrau könne vielmehr verlangt werden, dass sie sich auf eine Verschlechterung ihrer finanziellen Situation im Lauf der nächsten Jahre einstelle und sich spätestens ab März 2014 (richtig: 2013) nur noch mit einem nachehelichen Unterhalt in Höhe der ihr verbliebenen ehebedingten Nachteile zufrieden gebe.

Für die Beurteilung, ob ehebedingte Nachteile vorlägen, sei eine Prognose anzustellen, wie sich der berufliche Werdegang der Ehefrau ohne die Ehe entwickelt hätte. Ausgangspunkt der Prüfung seien regelmäßig die Ausbildung sowie die erworbenen beruflichen Fähigkeiten im Zeitpunkt der Eheschließung. Die Ehefrau hätte nach Durchlaufen einer Orientierungsphase eine Arbeitsstelle auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt in Tschechien finden können, in der sie ihre erworbenen Qualifikationen hätte nutzen können. Die Ehefrau habe erklärt, ihre Pläne seien in Richtung Finanzbuchhaltung, möglichst in einer Leitungsposition, in einem größeren Unternehmen gegangen, wo sie ohne besondere Karriereentwicklung als Finanzbuchhalterin mit Hochschulabschluss in Tschechien rund 50.000 Kronen (rund 1.986 €) hätte verdienen können.

Dieser Argumentation sei zu folgen. Daraus, dass die Ehefrau nur gut zwei Jahre „offiziell“ in einem ihrer Ausbildung entsprechenden Beruf gearbeitet habe, danach einige Monate „schwarz“ für eine Baufirma tätig gewesen sei und auch diese Tätigkeit Ende des Jahres 1993 im Hinblick auf die Beziehung zu dem Ehemann aufgegeben habe, rechtfertige sich nicht der Schluss, dass sie auch ohne die Eheschließung nie wieder in ihrem erlernten Beruf gearbeitet und ohne berufliche Qualifikation in Tschechien dagestanden hätte. Zwar könnten berufliche Dispositionen vor der Eheschließung grundsätzlich keinen ehebedingten Nachteil darstellen. Diese generalisierende Betrachtungsweise werde aber den Besonderheiten des Falls nicht gerecht. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Ehefrau nach Durchlaufen einer beruflichen Orientierungsphase wieder auf das Berufsfeld zurückgekehrt wäre, auf dem sie eine hohe Qualifikation nachweisen und dauerhaft ein gesichertes Einkommen erzielen könnte. Es erscheine nachvollziehbar und nicht karriereschädlich, dass sie sich nach Rückkehr ihrer ursprünglichen Vorgesetzten einen anderen Arbeitgeber gesucht habe, weil sie keine Aufstiegschancen gesehen habe. Dass sie eine Zeit lang „schwarz“ gearbeitet habe, könne für die Prognose keine entscheidende Rolle spielen. Die Ehefrau habe erklärt, dass sie bei dem Bauunternehmen ein deutlich höheres Einkommen habe erzielen können als bei der tschechischen Telekom. Sie sei noch relativ jung gewesen und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sei nur schwer abzuschätzen gewesen. In den europäischen Ostblockstaaten habe Anfang der Neunziger Jahre „eine Art Goldgräberstimmung“ geherrscht, und die jedem Berufsanfänger zuzubilligende Orientierungsphase sei unter besonderen Bedingungen abgelaufen, wobei für die Ehefrau noch hinzugekommen sei, dass sie ausgerechnet in dieser Zeit den Ehemann kennengelernt und mit ihm eine gemeinsame Zukunft im Westen geplant habe.

Unter diesen Umständen könne der Argumentation des Ehemanns, dass die Ehefrau ohne die Eheschließung weiterhin als Schwarzarbeiterin tätig geblieben wäre, in undurchschaubaren Arbeitsverhältnissen ihre „Karriere“ fortgesetzt hätte und sich deshalb heute in Tschechien auf keinerlei Berufserfahrung berufen könnte, nicht gefolgt werden. Es komme hinzu, dass man auch bei der Ausübung von „Schwarzarbeit“ durchaus Berufserfahrung sammeln und lediglich Schwierigkeiten haben könne, diese bei Bewerbungen zu dokumentieren. Im Übrigen sei unstreitig, dass die Ehefrau nach der Eheschließung und Übersiedlung nach Deutschland versucht habe, sich weiterzubilden und sich auf zahlreiche Bürostellen beworben habe. Das spreche dafür, dass die Ehefrau durchaus leistungsbereit und leistungswillig gewesen sei und sich auch in Tschechien um eine ordentlich dotierte und ihrer Qualifikation entsprechende Stelle beworben hätte, dort aber mit Erfolg, weil die Hochschulqualifikation dort anerkannt worden wäre und sich in Deutschland nicht nur sprachliche Probleme stellten, sondern ihre im Ausland erworbene Qualifikation bei „mehr oder weniger völliger“ Unkenntnis des deutschen Steuerrechts nahezu wertlos sei.

Demnach sei davon auszugehen, dass die Ehefrau ohne die Eheschließung über kurz oder lang in ihren erlernten Beruf zurückgekehrt wäre und dort zumindest eine normale Entwicklung genommen hätte. Dann hätte sie das vom Ehemann insoweit nicht in Frage gestellte Einkommen von 1.990 € erzielen können. Dieses Einkommen entspreche unter Berücksichtigung der Kaufgeldparität in Deutschland einem Einkommen von 2.250 € und netto sowie bereinigt um 5% für berufsbedingte Aufwendungen rund 1.377 €. Einer exakteren Feststellung des fiktiven Einkommens bedürfe es nicht, es genüge eine Schätzung des ungefähren Ausmaßes der ehebedingten Erwerbseinbuße. Das (hypothetische) Einkommen liege rund 320 € über dem derzeit von der Ehefrau erzielten bereinigten Nettoeinkommen von 1.045 €. In diesem Umfang bestünden derzeit ehebedingte berufliche Nachteile. Die Berücksichtigung der Kaufgeldparität sei gerechtfertigt, weil der Ehefrau eine Rückkehr nach Tschechien nicht abverlangt werden könne und ihre ehebedingten Nachteile nach längerer Berufsabstinenz dort nicht geringer wären.

Neben weiteren Umständen sei für die Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen, dass eine Unterhaltsverpflichtung in dem zuerkannten Umfang den Ehemann in Anbetracht seines relativ hohen Einkommens nicht in einem Maße belaste, das als unbillig angesehen werden könne.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

Das Berufungsgericht hat zu Recht von einer weiteren Herabsetzung sowie einer Befristung des Unterhalts (hier: Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB) abgesehen.

Nach § 1578 b Abs. 1 BGB in der seit 1. März 2013 geltenden Fassung ist der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, oder eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe unbillig wäre.

1. Ehebedingte Nachteile in diesem Sinne können sich nach § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes sowie aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats begründen allerdings eine Arbeitsplatzaufgabe oder ein Arbeitsplatzwechsel keinen ehebedingten Nachteil, wenn sie geraume Zeit vor der Eheschließung erfolgt sind (vgl. Senatsurteile vom 7. März 2012 XII ZR 25/10 FamRZ 2012, 776 Rn. 19 und vom 20. Februar 2013 XII ZR 148/10 zur Veröffentlichung bestimmt jeweils mwN). Ein ehebedingter Nachteil kann sich dann aber aus der Fortsetzung der Rollenverteilung in der Ehe und dem damit verbundenen Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit ergeben (vgl. Senatsurteile vom 7. März 2012 XII ZR 25/10 FamRZ 2012, 776 Rn. 19 und vom 20. Februar 2013 XII ZR 148/10 zur Veröffentlichung bestimmt jeweils mwN).

Das Berufungsgericht hat seine in den Entscheidungsgründen enthaltene tatbestandliche Feststellung, dass die Ehefrau ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der Beziehung zum Ehemann aufgegeben habe, im Wege der Tatbestandsberichtigung dahin korrigiert, dass der Zeitpunkt, zu dem die Ehefrau ihre Tätigkeit im Jahr 1993 aufgab, zwischen den Parteien streitig sei. Es ist aber dessen ungeachtet davon ausgegangen, dass die Ehefrau nach der Eheschließung von einer weiteren Erwerbstätigkeit wegen der von ihr in der Ehe übernommenen Hausfrauenrolle absah. Dem entspricht seine Annahme, dass die Ehefrau ohne die Eheschließung weiterhin in Tschechien geblieben und dort erwerbstätig gewesen wäre. Diese Feststellungen werden, was die Erwerbstätigkeit als solche angeht, von der Revision nicht in Frage gestellt.

b) Hinsichtlich der Frage, mit welcher Qualifikation die Ehefrau ohne die Eheschließung gearbeitet hätte und heute arbeiten würde, ist das Berufungsgericht dem Vortrag der Ehefrau gefolgt, dass sie bei ununterbrochener Erwerbsbiografie in Tschechien als Finanzbuchhalterin mit Hochschulabschluss nunmehr ein (Brutto-)Einkommen von monatlich bis zu 50.000 Tschechische Kronen (CZK; umgerechnet 1.956 €) erzielen könnte. Dass das Berufungsgericht nicht den anderslautenden Vortrag des Ehemanns zugrunde gelegt hat, wonach die Ehefrau weiterhin als Schwarzarbeiterin in undurchschaubaren Arbeitsverhältnissen gearbeitet hätte und heute keinerlei Berufserfahrung vorweisen könnte, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist im Rahmen der Herabsetzung und Befristung des Unterhalts der Unterhaltspflichtige für die Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet, die für eine Begrenzung sprechen. Hinsichtlich der Tatsache, dass ehebedingte Nachteile nicht entstanden sind, trifft den Unterhaltsberechtigten aber nach den Regeln zum Beweis negativer Tatsachen eine sogenannte sekundäre Darlegungslast. Der Unterhaltsberechtigte muss die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substantiiert bestreiten und seinerseits darlegen, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden (Senatsurteile BGHZ 185, 1 = FamRZ 2010, 875 Rn. 18 ff.; vom 20. Oktober 2010 XII ZR 53/09 FamRZ 2010, 2059 Rn. 24; vom 26. Oktober 2011 XII ZR 162/09FamRZ 2012, 93 Rn. 22 ff. und vom 11. Juli 2012 XII ZR 72/10FamRZ 2012, 1483 Rn. 40; Senatsbeschluss vom 13. März 2013 XII ZB 650/11 zur Veröffentlichung bestimmt).

Damit dürfte zwar nicht übereinstimmen, dass das Berufungsgericht die Ehefrau offenbar als beweisbelastet angesehen hat. In der Sache entsprechen die vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen aber den vom Senat aufgestellten Grundsätzen.

Aufgrund der gegebenen Sachlage ist der Vortrag der Ehefrau, sie hätte ohne die Eheschließung als Finanzbuchhalterin gearbeitet, als ausreichend substantiiert zu betrachten. Die vor der Eheschließung von ihr zuletzt ausgeübte Schwarzarbeit steht dem nicht entgegen und macht ihren Prozessvortrag nicht widersprüchlich. Denn zum einen wurde diese Tätigkeit nach ihrem Vorbringen besser bezahlt als die vorangegangene Beschäftigung bei der Tschechischen Telekom. Zum anderen war die Ehefrau ebenfalls in der Buchhaltung tätig, sie arbeitete also weder fachfremd noch ohne weiteres unterhalb der von ihr erworbenen beruflichen Qualifikation. Demnach ist auch nicht ausschlaggebend, dass die Ehefrau ihre Tätigkeit bei der Tschechischen Telekom aufgegeben hatte, weil sie dort zunächst keine Aufstiegsmöglichkeiten gesehen hatte.

Schon aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts zur Bedürftigkeit (vgl. Senatsurteil BGHZ 185, 1 = FamRZ 2010, 875 Rn. 25 mwN und Senatsbeschluss vom 7. November 2012 XII ZB 229/11 FamRZ 2013, 109 Rn. 35) ist davon auszugehen, dass die Ehefrau in Deutschland keine ihrer beruflichen Qualifikation entsprechende Stelle finden kann. Dass das Berufungsgericht zudem keine Obliegenheit der Ehefrau angenommen hat, in ihr Heimatland zurückzukehren, bewegt sich im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung und steht mit der Senatsrechtsprechung im Einklang (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2013 XII ZR 39/10 FamRZ 2013, 534 Rn. 26). Demnach ist vom Bestehen ehebedingter Nachteile auszugehen.

bb) Um einen ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Einkommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß §§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs bemisst sich dabei regelmäßig nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Haushaltsführung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte, wobei eine Schätzung entsprechend § 287 ZPO bei ausreichenden Grundlagen zulässig ist (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 11. Juli 2012 XII ZR 72/10 FamRZ 2012, 1483 Rn. 43 mwN und vom 20. Februar 2013 XII ZR 148/10 zur Veröffentlichung bestimmt).

Das Berufungsgericht hat ein ohne ehebedingte Nachteile erzielbares Monatseinkommen von 1.956 € brutto zugrunde gelegt. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.

Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Ehefrau ohne die Eheschließung heute in Tschechien eine Arbeitsstelle als Finanzbuchhalterin mit Berufserfahrung innehaben könnte, entspricht den nach der Senatsrechtsprechung geltenden Maßstäben. Die Ehefrau hat das erzielbare Einkommen mit Hilfe einer Stellenanzeige näher substantiiert. Da die Ehefrau über einen Hochschulabschluss verfügt, es sich um eine in ihr Berufsfeld fallende Tätigkeit handelt und die Höhe des Arbeitslohns nicht von einem vorausgegangenen beruflichen Aufstieg, sondern nur von einer entsprechenden Berufserfahrung abhängig ist (zur Abgrenzung vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2010 XII ZR 53/09 FamRZ 2010, 2059 Rn. 31 ff. und vom 4. August 2010 XII ZR 7/09 FamRZ 2010, 1633 Rn. 39), ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen weiteren Vortrag der Ehefrau nicht für erforderlich gehalten hat. Denn unter diesen Umständen sind die mit der Widerlegung einer negativen Tatsache verbundenen spezifischen Schwierigkeiten ausgeräumt und ist die den Ehemann treffende Beweislast nicht mit überzogenen Anforderungen verbunden. Auf ein bloßes Bestreiten mit Nichtwissen konnte dieser sich demnach nicht mehr beschränken.

Eine exakte Feststellung des hypothetisch erzielbaren Einkommens des Unterhaltsberechtigten ist bei feststehenden Nachteilen schließlich nicht notwendig. Die Tatsachengerichte können sich vielmehr insoweit bei geeigneter Grundlage einer Schätzung entsprechend § 287 ZPO bedienen. Für die Billigkeitsbetrachtung wird es dann in der Regel genügen, wenn das ungefähre Ausmaß der Einbuße feststeht (Senatsurteil vom 4. August 2010 XII ZR 7/09 FamRZ 2010, 1633 Rn. 39), was im vorliegenden Fall aufgrund der bereits genannten Rahmenbedingungen gegeben ist.

cc) Das Berufungsgericht hat das Bruttoeinkommen unter Berücksichtigung der Kaufgeldparität auf die Verhältnisse in Deutschland umgerechnet (2.250 €) und sodann das Nettoeinkommen aufgrund der Steuerklasse 1 auf rund 1.450 € berechnet. Das wird von der Revision nicht angegriffen und ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der Ausgangspunkt, dass das vom unterhaltsberechtigten Ehegatten in seinem Heimatland hypothetisch erzielbare Einkommen im Hinblick auf Kaufkraftunterschiede an das deutsche Preisniveau anzupassen ist, entspricht der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 16. Januar 2013 XII ZR 39/10 FamRZ 2013, 534 Rn. 24). Dass das Berufungsgericht das Bruttoeinkommen auf der Grundlage des deutschen Steuer- und Sozialversicherungsrechts in ein Nettoeinkommen umgerechnet hat, ist demgegenüber zwar nicht folgerichtig, weil es auch insoweit auf die Verhältnisse in Tschechien ankommt. Die Revision macht aber nicht geltend, dass eine Berechnung nach den entsprechenden Vorschriften in Tschechien zu einem niedrigeren Nettoeinkommen geführt hätte.

Demnach ist auch die konkrete Bemessung des am ehebedingten Nachteil orientierten angemessenen Lebensbedarfs im Sinne von § 1578 b Abs. 1 BGB nicht zu beanstanden, auf den das Berufungsgericht den Unterhalt ab März 2013 herabgesetzt hat.

2. Aus weiteren Billigkeitsaspekten, die aus der nachehelichen Solidarität folgen, ergibt sich nicht die Notwendigkeit einer früheren Herabsetzung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 1 BGB oder einer Befristung nach § 1578 b Abs. 2 BGB.

Dass das Berufungsgericht die Ehedauer nur bis zur Trennung statt bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags (Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 35 mwN) berechnet hat, kann sich nicht zum Nachteil des Antragstellers als Revisionskläger ausgewirkt haben. Die stärkere Betonung der Ehedauer in der seit 1. März 2013 geltenden Neufassung von § 1578 b Abs. 1 BGB dient nach der Gesetzesbegründung der Klarstellung und soll jedenfalls keine wesentliche Änderung des nach der Senatsrechtsprechung bestehenden Rechtszustands bewirken (vgl. BT-Drucks. 17/11885 S. 6; Senatsurteil vom 20. März 2013 XII ZR 72/11 – zur Veröffentlichung bestimmt; Borth FamRZ 2013, 165, 167; Born NJW 2013, 561). Sie könnte sich überdies aber auch nicht zu Gunsten des Ehemannes als Revisionskläger auswirken, weil das Berufungsgericht der Ehedauer im Gegensatz zu den ehebedingten Nachteilen im Hinblick auf eine längere Fortdauer der ungeschmälerten Unterhaltspflicht ersichtlich kein wesentliches Gewicht beigemessen hat.

BGH, Beschluss vom 20.03.2013
XII ZR 12/11

AG Wolfsburg, Entscheidung vom 20.10.2009, 20 F 2245/08
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 25.10.2011, 2 UF 171/09

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.