Die Berufung des Klägers gegen das am 21. September 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Lüneburg vom 29. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert übersteigt nicht 2.500 EUR.
G r ü n d e :
I.
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus vollstreckbaren Urkunden über Kindesunterhalt.
Der Kläger ist der Vater der am 26. Februar 1988 geborenen Beklagten. Zugunsten der Beklagten war zuletzt durch Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg (29 FH 28/00) vom 27. März 2001 ein monatlicher Kindesunterhalt in Höhe von 114 % des Regelbetrages (West) in der dritten Altersstufe abzüglich des anrechenbaren Kindergeldes gegen den Kläger festgesetzt worden. Vor der Vollendung des 18. Lebensjahres der Beklagten war das Jugendamt der Stadt L. im Rahmen einer Beistandschaft in Unterhaltsangelegenheiten für die Beklagte tätig geworden.
Der Kläger geriet mit den Zahlungen auf den titulierten Kindesunterhalt in Rückstand. Am 21. Dezember 2005 teilte das Jugendamt dem Kläger mit, dass für den Zeitraum nach dem 21. Juni 2004 teilweise auf die Zwangsvollstreckung aus dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss verzichtet werde. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen entfaltete das Jugendamt danach nicht mehr. Unter dem 24. Februar 2006 erteilte das Jugendamt der Beklagten einen Schlussbericht über die Beistandschaft und übersandte ihr die Vollstreckungsunterlagen mit dem Bemerken, dass der – auch unter Berücksichtigung des Vollstreckungsverzichts – weiterhin bestehende Unterhaltsrückstand nunmehr ihr persönlich in voller Höhe zustehe.
Durch Schreiben vom 5. Februar 2007 forderte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Kläger vergeblich zur Zahlung eines rückständigen Kindesunterhalts in Höhe von 2.120,40 EUR bis zum 20. Februar 2007 auf. Unter dem 16. März 2007 erteilte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem Gerichtsvollzieher einen Vollstreckungsauftrag zur Beitreibung eines Unterhaltsrückstands in Höhe von 2.120,40 EUR zuzüglich der Kosten der Zwangsvollstreckung in Höhe von 68,97 EUR. Durch Schreiben vom 14. Mai 2007 kündigte der Gerichtsvollzieher dem Kläger die Zwangsvollstreckung an.
Mit seiner Klage erstrebt der Kläger, die Zwangsvollstreckung aus den Kindesunterhaltstiteln für unzulässig zu erklären und die Beklagte zur Rückzahlung der von ihm zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten Beträge zu verurteilen. Er beruft sich darauf, dass der Anspruch aus der titulierten Forderung verwirkt sei.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts ist sowohl im Ergebnis als auch in wesentlichen Teilen der Begründung zu folgen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der titulierte Kindesunterhaltsanspruch der Beklagten nicht gemäß § 242 BGB verwirkt.
1. Der für das Zeitmoment der Verwirkung maßgebliche Zeitraum konnte nicht vor der Vollendung des 18. Lebensjahres der Beklagten am 26. Februar 2006 beginnen.
a) Die Verwirkung eines Rechts stellt nach allgemeiner Ansicht einen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens dar (PalandtHeinrichs BGB 67. Aufl. § 242 Rdn. 87. Münch/KommRoth BGB 5. Aufl. § 242 Rdn. 296. StaudingerLooschelders/Olzen BGB [Stand: Juli 2005] § 242 Rdn. 302. Larenz Schuldrecht I Allgemeiner Teil 14. Aufl. § 10 II b). Ein Recht kann durch längere Nichtausübung verwirkt werden, wenn dadurch der andere Teil zu der berechtigten Überzeugung gelangen musste, der Berechtigte werde keinen Gebrauch mehr davon machen und gegen den Berechtigten somit der Vorwurf einer illoyal verspäteten Geltendmachung seines Rechts erhoben werden kann. Der Vorwurf eines widersprüchlichen Verhaltens kann die Beklagte jedoch frühestens mit Vollendung ihres 18. Lebensjahres am 26. Februar 2006 treffen, als sie selbst erstmals in Bezug auf die Geltendmachung des Rechts eigene Entscheidungen treffen konnte. Da sich der Kläger von vornherein darauf einrichten musste, dass die Entscheidungen hinsichtlich der Durchsetzung des titulierten Kindesunterhalts seit dem 26. Februar 2006 nicht mehr vom Jugendamt oder von der Mutter der Beklagten getroffen wurden, konnte die bloße Untätigkeit des Beistands oder der gesetzlichen Vertreterin vor dem 26. Februar 2006 kein berechtigtes Vertrauen dahingehend erzeugen, dass auch die Beklagte selbst keinen Gebrauch von ihrem Recht machen würde, wenn sie selbst über dessen Geltendmachung entscheiden durfte.
b) Richtig ist freilich, dass der Eintritt der Volljährigkeit eines Kindes einen in der Vergangenheit bereits verwirkten Kindesunterhaltsanspruch nicht wieder aufleben lassen kann. Der titulierte Unterhaltsanspruch der Beklagten war indessen am 26. Februar 2006 noch nicht verwirkt, selbst wenn der Kläger – wie in der Berufungsbegründung errechnet – Anfang 2005 seine Zahlungen eingestellt haben sollte.
Der Senat hat entgegen der Ansicht des Klägers auch in dem die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss vom 19. März 2008 keineswegs die Auffassung vertreten, dass (titulierte) Ansprüche auf Kindesunterhalt schlechthin nicht verwirken könnten. Anders als beim Unterhaltsanspruch von Volljährigen (Kindern, Ehegatten oder Eltern) kann der Unterhaltsschuldner bei minderjährigen Kindern allein aus der unterlassenen Geltendmachung des titulierten Unterhalts über den Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr redlicherweise nicht den Schluss ziehen, dass die Kinder nicht mehr unterhaltsbedürftig seien und sich auf den Wegfall der Unterhaltszahlungen eingerichtet haben. dies gilt vor allem dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die titulierten Unterhaltsansprüche der Sicherstellung des reinen Existenzminimums dienen (OLG Hamm FuR 2003, 221, 222. OLG Köln FamRZ 2000, 1434 f.. OLG Dresden JAmt 2004, 337, 338. jurisPK/Viefhues BGB 3. Aufl. [Stand: März 2008] § 1613 Rdn. 119). Denn minderjährigen Kindern stehen typischerweise nicht die gleichen Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung zur Verfügung wie dies bei Volljährigen – etwa durch Ausweitung einer Erwerbstätigkeit oder durch Versorgung in einer sozioökonomischen Partnerschaft – der Fall ist. Vielmehr ist im Regelfall bei minderjährigen Kindern davon auszugehen, dass der durch den Zahlungsrückstand des Unterhaltsschuldners ungedeckt gebliebene Unterhaltsbedarf durch Leistungen des betreuenden Elternteils sichergestellt worden ist, wobei diese Leistungen aber üblicherweise nur vorläufig und nicht in der Absicht erbracht werden, den in Zahlungsrückstand geratenen barunterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten. Nur wenn der Unterhaltsschuldner ausnahmsweise darauf vertrauen darf, dass etwa der betreuende Elternteil willens und in der Lage ist, endgültig auch für den Barunterhalt des Kindes aufzukommen, kann eine Verwirkung auch beim Kindesunterhalt in Betracht zu ziehen sein. Um dies annehmen zu können, müssen zum Zeitmoment ganz besondere Umstände hinzutreten, an deren Vorliegen bei einer gesteigerten Unterhaltspflicht durchaus strenge Voraussetzungen zu knüpfen sind (OLG Dresden JAmt 2004, 337, 338), wenn nicht ein außergewöhnlich langes Zuwarten vorliegt (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, 1163, 1164: Untätigkeit über einen Zeitraum von sieben Jahre. vgl. weiterhin FAFamR/Gerhardt § 6 Rdn. 547a: Untätigkeit über „mehrere Jahre“). Ein solcherart außergewöhnlich langes Zuwarten liegt hier aber nicht vor und auch besondere Umstände, die eine Verwirkung von Minderjährigenunterhalt ausnahmsweise bereits nach etwas mehr als einem Jahr gebieten könnten, sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Das Zeitmoment der Verwirkung ist unter den obwaltenden Umständen im Zeitraum nach dem 26. Februar 2006 schon deshalb nicht erfüllt, weil die Beklagte bereits durch Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2007 – also noch vor Ablauf eines Jahres nach der Volljährigkeit der Beklagten – die titulierten Unterhaltsrückstände ernsthaft angemahnt und die Zwangsvollstreckung anschließend eingeleitet hat.
Entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung lässt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verwirkung titulierter Unterhaltsrückstände und der darin gebrauchten Wendung über die „Durchsetzung mit Hilfe des Titels“ (BGH Beschluss vom 16. Juni 1999 – XII ZA 3/99 – FamRZ 1999, 1422. vgl. auch BGH Urteil vom 10. Dezember 2003 – XII ZR 155/01 – FamRZ 2004, 531, 532) weder unmittelbar noch zwischen den Zeilen das Erfordernis entnehmen, dass der für die Verwirkung maßgebliche Zeitraum ausschließlich durch eine Tätigkeit des zuständigen Vollstreckungsorgans beendet werden könnte. Die „Durchsetzung mit Hilfe des Titels“ kann in diesem Sinne schon mit der ernsthaften außergerichtlichen Aufforderung an den Schuldner beginnen, die titulierte Forderung zu zahlen. dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie es im vorliegenden Fall unzweifelhaft der Fall gewesen ist – der außergerichtlichen Aufforderung zeitnah eine Vollstreckungsmaßnahme folgt. Denn anders als im Falle von Verjährung und Ausschlussfristen muss der Gläubiger bei der Verwirkung nicht darum besorgt sein, innerhalb bestimmter Fristen konkrete prozessuale Handlungen vorzunehmen, sondern es kommt für ihn allein darauf an, beim Schuldner kein berechtigtes Vertrauen dahingehend entstehen zu lassen, dass sich der Gläubiger mit der Nichtzahlung endgültig abgefunden habe. Es ist für den Senat kein sachlich gerechtfertigter Grund ersichtlich, warum zur Abwendung der Verwirkungsfolgen für den Gläubiger eines nicht titulierten Unterhaltsanspruchs jede geeignete außergerichtliche Tätigkeit hinreicht, während von einem Titelgläubiger in jedem Falle eine Kosten auslösende Einzelvollstreckungsmaßnahme erwartet werden sollte.
3. Im Übrigen können die vom Bundesgerichtshof für den Ehegatten und Elternunterhalt aufgestellten Grundsätze, nach denen Unterhaltsansprüche schon nach „einem Jahr und einem Tag“ ohne das Hinzutreten eines besonderen Umstandsmoments verwirken können, im vorliegenden Fall auf den Zeitraum nach dem 26. Februar 2006 nicht ohne weiteres übertragen werden, auch wenn die Beklagte seither volljährig ist.
Der Bundesgerichtshof stützt die Annahme, dass an die Annahme der Verwirkung keine besonders strengen Anforderungen zu stellen seien, auf zwei von einander unabhängige Gesichtspunkte. Zum einen sind im Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Faktoren nach längerer Zeit nur noch schwer aufklärbar. Zum anderen muss von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, noch eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. tue er dies nicht, erwecke sein Verhalten den Eindruck, er sei nicht unterhaltsbedürftig. Zudem können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast für den Unterhaltsschuldner anwachsen (BGH Urteile vom 10. Dezember 2003 aaO und vom 16. Februar 2002 – XII ZR 266/99 – FamRZ 2002, 1698, 1699 = BGHZ 152, 217 sowie vom 13. Januar 1988 – IVb ZR 7/87 – FamRZ 1988, 370, 372 = BGHZ 103, 62). Solche Umstände liegen hier nicht vor.
Die Frage der Aufklärbarkeit wirtschaftlicher Verhältnisse in vergangenen Unterhaltszeiträumen spielt für einen titulierten Unterhalt zwar keine Rolle, weil diesem Gesichtspunkt von vornherein kein entscheidendes Gewicht beizumessen ist (vgl. BGH Urteil vom 16. Februar 2002 aaO). Im vorliegenden Fall können aber auch Erwägungen des Schuldnerschutzes keine besonders großzügige Handhabung von Zeit und Umstandsmoment der Verwirkung rechtfertigen. Denn weil der mit der Vollstreckungsgegenklage angegriffene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des AG Lüneburg ausschließlich den Unterhalt minderjähriger Kinder zum Gegenstand hat, konnten auf der Grundlage dieses Titels im Zeitraum zwischen Februar 2006 und Februar 2007 auch keine weiteren Unterhaltsrückstände zu Lasten des Klägers mehr auflaufen.
Anders als in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen war die Beklagte in dem für die Beurteilung der Verwirkung maßgeblichen Zeitraum zwischen Februar 2006 und Februar 2007 zur Deckung ihres Lebensbedarfs gerade nicht lebensnotwendig auf Unterhaltszahlungen des Klägers angewiesen, weil sie als volljähriges Kind von dem Kläger keinen Unterhalt beanspruchen konnte und deshalb von vornherein ihren Lebensbedarf selbst decken musste. Aus diesem Grunde konnte der Kläger aus dem Verhalten der Beklagten auch keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob die Beklagte auf die titulierten Unterhaltsrückstände aus der Zeit vor 2006 angewiesen war oder nicht.
Daher ist es unter den hier obwaltenden Umständen nicht gerechtfertigt, an die Verwirkung von titulierten Unterhaltsrückständen andere Maßstäbe anzulegen als an die Verwirkung sonstiger titulierter Ansprüche. Einem anderen Gläubiger – der etwa titulierte Ansprüche auf vertraglicher Grundlage geltend macht – könnte der Kläger auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, er habe bereits durch die Nichtgeltendmachung seiner Ansprüche über den Zeitraum von kaum mehr als einem Jahr berechtigtes Vertrauen dahingehend erzeugt, dass er sich mit dem endgültigen Ausfall seiner titulierten Forderung abgefunden habe.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Senat sah keine Veranlassung zur Zulassung der Revision. Mit der Auffassung, dass an die Verwirkung titulierten Kindesunterhalts in den Zeiten der Minderjährigkeit des Kindes durchweg strengere Voraussetzungen erfüllt sein müssen als an die Verwirkung sonstiger Unterhaltsansprüche, steht der Senat nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dies gilt auch für die Entscheidung vom 16. März 1999 (BGH Beschluss vom 16. Juni 1999 – XII ZA 3/99 – FamRZ 1999, 1422), die dem schon zitierten Urteil des OLG Frankfurt mit der dort gegebenen außergewöhnlichen Sachverhaltskonstellation (Keine Geltendmachung von Kindesunterhalt über sieben Jahre) im Instanzenzug nachging. Im Übrigen handelt es sich um eine Entscheidung des Einzelfalls, die keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts erscheint auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts geboten.
IV.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 45 Abs. 1 Satz 2 und 3 GKG. Der auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung gerichtete Hauptantrag und der auf Rückzahlung der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten Betrages gerichtete Hilfsantrag betreffen den gleichen Streitgegenstand (vgl. für eine Abänderungsklage OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 608, 609. für eine auf Rückgabe des beigetriebenen Betrages nach § 717 Abs. 2 ZPO gestützte Widerklage in der Berufungsinstanz: BGHZ 38, 237, 238. vgl. auch Hartmann Kostengesetze 36. Aufl. § 45 Rdnrn. 13 f.).
OLG Celle, Urteil vom 10.04.2008
17 UF 217/07