OLG Düsseldorf: Aufstockungsunterhalt, anknüpfen an Verdienstmöglichkeiten

Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt – Aufstockungsunterhalt – ist zu befristen, wenn der Unterhaltsberechtigte nach der Scheidung der Ehe an seine vor/bei Eheschließung gegebenen Verdienstmöglichkeiten angeknüpft hat.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Dinslaken vom 06.03.2009 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Beklagte aus dem Urteil lediglich 1.737 € zu zahlen hat.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 7.188 €

I.

Der am …03.1951 geborene Kläger und die am …06.1952 geborene Beklagte haben am 10.08.1984 – jeweils in 2. Ehe – geheiratet. Die Trennung erfolgte im Oktober 2001. Rechtskräftig geschieden sind die Parteien seit dem 09.08.2005.

Aus der Ehe sind zwei Kinder (9/1985; 1/1987) hervorgegangen, die der Kläger auch nach der Trennung der Parteien betreut hat. Die Beklagte hat zwei weitere Kinder (1975, 1977) mit in die Ehe gebracht.

Der Kläger wurde im Verbundurteil vom 09.08.2005 zur Zahlung monatlichen Nachscheidungsunterhalts von 599 € verurteilt; Anspruchsgrundlage waren die §§ 1572, 1573 Abs. 2 BGB.

Die Beklagte ist gelernte Frisörin. Seit etwa 2005 arbeitet sie nach eigenen Angaben vollschichtig in diesem Beruf. Nach ihrer eigenen Erklärung konnte sie bis zu einem Unfall am 14.02.2008, bei dem sie eine komplizierte Schulterverletzung erlitt, ihren Beruf „mit Freude“ ausüben und war „jeglicher beruflichen Anforderung gewachsen“. Zu ihrem Nettoverdienst von 905,42 € hat sie ausdrücklich erklärt, dass sie damit „in der Spitzenklasse des Verdienstes“ als Frisörin liege.

Mit am 04.09.2008 zugestellter Abänderungsklage erstrebte der Kläger den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung und die Rückzahlung überzahlten Unterhalts für die Zeit vom 04.09.2008 bis 30.11.2008. Das Amtsgericht hat der Abänderungsklage stattgegeben und die Beklagte zur Rückzahlung von 1.863 € verurteilt. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter. Sie macht geltend, dass eine Rückzahlungsverpflichtung für den Monat September 2008 nicht in Betracht komme, da der grundsätzlich für den gesamten Monat geschuldete Unterhalt zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit bereits fällig gewesen und daher mit Rechtsgrund gezahlt worden sei. Sie habe bei Eheschließung mit dem Kläger darauf vertrauen können, im Falle einer Scheidung einen lebenslangen Unterhaltsanspruch zu haben; in diesem Vertrauen sei sie zu schützen. Im Übrigen beschäftigt sich die Berufungsbegründung zum überwiegenden Teil mit einer vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der §§ 1569 ff BGB, wobei sie sich im Wesentlichen mit § 1570 BGB auseinandersetzt.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Soweit das Amtsgericht infolge eines Rechenfehlers den Rückzahlungsanspruch um 126 € zu hoch tituliert hat, hat der Kläger auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.

II.

Die – zulässige – Berufung hat keinen Erfolg.

Die Abänderungsklage des Klägers ist begründet, da nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Vorverfahren wesentliche Änderungen der für die Unterhaltsverpflichtung maßgeblichen Umstände eingetreten sind. Die Gesetzesänderung zum 01.01.2008 ist als solche Änderung anzusehen (Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 10 Rn 158d).

Der von der Beklagten reklamierte Vertrauenstatbestand auf einen lebenslangen Unterhalt fand und findet im Gesetz keine einer Unterhaltsbegrenzung entgegenstehende Grundlage. Unterhaltsansprüche aus §§ 1570, 1572 BGB waren nach altem und sind nach neuem Unterhaltsrecht an bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen gebunden, die hier nicht vorliegen; weder betreut die Beklagte minderjährige Kinder aus der Ehe, noch liegt eine den ehelichen Lebensverhältnissen zuzuordnende Erkrankung vor (s. dazu unten). Ein zu schützendes Vertrauen der Beklagten ist damit insoweit nicht gegeben.

Betr. den Aufstockungsunterhalt gem. § 1573 Abs. 2 BGB ist darauf zu verweisen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Heirat, auf den sich der von ihr geltend gemachte Vertrauenstatbestand allein beziehen kann, davon ausgehen konnte und musste, dass die seinerzeit von der Rechtsprechung durchgängig angewandte sog. Anrechnungsmethode faktisch zumindest zu einer erheblichen Reduzierung dieses Unterhalts und mithin auch nach damaliger Rechtslage nicht zu einer unbeschränkten Lebensstandardgarantie geführt hätte. Zudem galt auch nach altem Recht zunächst der Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung geschiedener Eheleute gem. § 1569 BGB, und mit dem nachehelichen Unterhalt sollten und sollen in erster Linie die Risiken der mit der Scheidung fehlgeschlagenen Lebensplanung der Ehegatten angemessen ausgeglichen werden (so BGH Urteil v. 6.2.2008, XII ZR 14/06, Rn 43). Das – mögliche – Vertrauen der Beklagten bei Heirat in eine dauerhafte Lebensstandardgarantie ist vor diesem Hintergrund als untergeordnet und damit nicht schützenswert einzustufen, wenn der Gesetzgeber infolge gewandelter gesellschaftspolitischer Verhältnisse und Anschauungen die vorhandene Möglichkeit erweitert, einen Aufstockungsunterhalt unter Billigkeitserwägungen zu beschränken.

Der vorliegende Sachverhalt eignet sich auch nicht zur beklagtenseits angeregten Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Unterhaltsrechtsreform zum 01.01.2008. Die Bedenken, die insbesondere zu § 1570 BGB vorgetragen werden, sind vorliegend unerheblich, denn es handelt sich um ein Abänderungsverfahren betreffend einen Unterhaltstitel, der nach §§ 1572, 1573 Abs. 2 BGB ergangen ist. Soweit in diesem Zusammenhang auch auf die Vorschriften der § 1569, 1578 b BGB zurückzugreifen ist, sind verfassungsgerichtliche Bedenken nicht erkennbar und, da im Wesentlichen die Neuregelung des § 1570 BGB angegriffen wird, auch nicht dargetan worden.

Der vorliegende Sachverhalt ist vielmehr der „klassische“ Fall, in dem ehebedingte Nachteile nicht gegeben sind. Die Beklagte hat selbst nachdrücklich vorgetragen, bis jedenfalls Februar 2008 in ihrem erlernten Beruf vollschichtig und in voller Belastbarkeit gearbeitet zu haben und dabei in der Spitzenklasse ihrer Verdienstmöglichkeiten gelegen zu haben; gegenüber einem sie nach dem Unfallereignis vom 14.02.2008 behandelnden Arzt hat sie angegeben, dass sie als „Salonleiterin“ tätig sei. Deutlicher kann ein Unterhaltsberechtigter nicht dartun, dass er auch nach seiner eigenen Einschätzung keine ehebedingten Nachteile erlitten hat. Der Versicherungsverlauf in der Auskunft der LVA Rheinland vom 18.01.2005 im beigezogenen Scheidungsverfahren belegt, dass die Beklagte vor der Eheschließung nie nennenswerte Einkünfte erzielt hat, deren Aufgabe als ehebedingter Nachteil gewürdigt werden könnte. Das Vorbringen der Beklagten spricht zudem eindeutig dagegen, dass auf ihrer Seite noch krankheitsbedingte Einschränkungen, die zum Unterhaltstitel vom 09.08.2005 geführt haben, gegeben waren. Einschränkungen nach dem Unfallereignis vom 14.02.2008 sind im Übrigen in keiner Weise ehebedingt und rechtfertigen die Fortzahlung von Krankheitsunterhalt nicht, zumal nicht erkennbar ist, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Beginns der Abänderung Anfang September 2009 noch durch die Unfallfolgen belastet war.

Vor diesem Hintergrund spielt auch die Entscheidung des BGH vom 27.05.2009 (XII ZR 111/08, ab Randnummer 37) keine Rolle, denn diese Entscheidung geht erkennbar davon aus, dass die Voraussetzungen für den Krankenunterhalt aktuell noch vorliegen, was hier jedoch, wie ausgeführt, nicht der Fall ist.

Auch sonstige Umstände sprechen nicht dafür, von einer Befristung des ebenfalls vortitulierten Anspruchs aus § 1573 Abs. 2 BGB gemäß § 1578b Abs. 2 BGB, wie sie das Amtsgericht zu Recht vorgenommen hat, Abstand zu nehmen. Der Kläger hat nach der Trennung im Oktober 2001 rund 7 Jahre lang Trennungs- und Nachscheidungsunterhalt gezahlt, und er hat – unstreitig – zu Beginn der Ehe über Jahre die vorehelichen Kinder der Beklagten mit unterhalten. Entscheidend ist auch hier des Weiteren die Erwägung, dass sich die Beklagte mit ihrem Verdienst an der oberen Grenze dessen bewegt, was sie aufgrund ihres bei Eheschließung gegebenen Ausbildungsstandes hätte erreichen können, wobei ergänzend zu berücksichtigen ist, dass sie schon bei Eheschließung durch ihre zwei zuvor geborenen Kinder in ihren beruflichen Möglichkeiten eingeschränkt war, was jedoch unterhaltsrechtlich nicht dem Kläger anzulasten ist.

Auch betreffend die Rückzahlungsverpflichtung für die Zeit vom 04. bis 30.09.2008 ist die Berufung – von der bereits wirksam erfolgten Korrektur des Berechnungsfehlers abgesehen – unbegründet. Es ist unzutreffend, dass Unterhalt grundsätzlich nur in Monatsbeträgen im Voraus geschuldet wird. Für den Nachscheidungsunterhalt gilt beispielhaft, dass dieser erst ab Rechtskraft der Scheidung verlangt werden kann. Im Übrigen bestimmt § 323 Abs. 3 Satz 1 ZPO (ein Fall des Satzes 2 liegt nicht vor), dass die Abänderung ab dem Eintritt der Rechtshängigkeit Wirksamkeit entfaltet, so dass auch insoweit eine Abweichung von dem „Monatsprinzip“ gegeben ist, die hier genau einschlägig ist. Schließlich handelt es sich bei § 1585 Abs. 1 S.2 BGB – wie bei §§ 1361 Abs. 4 S.2, 1612 Abs. 3 S.1 BGB – um eine Vorschrift, die die Fälligkeit, nicht jedoch den Anspruchsgrund regelt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 97, 92 Abs.2, 708 Nr.10, 713 ZPO.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen; ein Fall des § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.09.2009
II-8 UF 56/09

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