BGH: Vaterschaftsanfechtung

a) Tritt der potenzielle biologische Vater der beklagten Partei eines Vaterschaftsanfechtungsverfahrens mit dem Ziel bei, eine spätere Feststellung der eigenen Vaterschaft zu verhindern, hat er lediglich die Stellung eines unselbstständigen Nebenintervenienten gemäß § 66 ZPO inne, nicht aber die Stellung eines streitgenössischen Nebenintervenienten (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse BGHZ 173, 90, 92 und vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731).

b) Wurde erstinstanzlich der Anspruch des unselbstständigen Nebenintervenienten auf rechtliches Gehör verletzt, ist § 67 ZPO verfassungskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Streithelfer die Gehörsrüge gemäß § 321 a ZPO wirksam einlegen kann, auch wenn dies in Widerspruch zu Erklärungen oder Handlungen der Hauptpartei steht. Die ausnahmsweise Zulässigkeit einer gegen den Willen der unterstützten Hauptpartei einzulegenden Berufung kommt demgegenüber nicht in Betracht.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2009 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Fuchs, die Richterin Dr. Vézina sowie die Richter Dose und Dr. Klinkhammer
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. April 2007 wird auf Kosten des Streithelfers der Beklagten verworfen.
Streitwert: 2.000 €

Gründe:

I.
Der Kläger, der bei der Geburt der Beklagten am 11. Mai 2003 mit deren Mutter verheiratet war, begehrt im Wege der am 24. April 2006 beim Amtsgericht eingegangenen Vaterschaftsanfechtungsklage die Feststellung, nicht der Vater der Beklagten zu sein. Er behauptet, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit habe seine Ehefrau mit Herrn K. – dem Streithelfer der Beklagten – geschlechtlich verkehrt. Hiervon habe er (der Kläger) erstmals im Juni des Jahres 2004 erfahren.

Nachdem das Amtsgericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 31. Oktober 2006 bestimmt hatte, ging am 20. Oktober 2006 ein Anwaltsschriftsatz beim Amtsgericht ein, worin der Streithelfer dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beitrat und Klagabweisung beantragte. Da der Schriftsatz mit einem falschen Aktenzeichen versehen war, wurde er zunächst nicht dem richtigen Verfahren zugeordnet. Vielmehr erlangte der zuständige Richter erst nach der mündlichen Verhandlung Kenntnis von dem Schriftsatz.

Das Amtsgericht gab der Anfechtungsklage noch im Termin, von dem der Streithelfer nicht unterrichtet worden war und von dem er auch sonst keine Kenntnis hatte, durch Verkündung des Tenors statt. Kläger und Beklagte erklärten Rechtsmittelverzicht. Zur Begründung seines Urteils stützte sich das Amtsgericht auf ein mit Zustimmung der „Erwachsenen“ eingeholtes, die Vaterschaft des Streithelfers bestätigendes Privatgutachten, welches die Kindesmutter im Termin vorgelegt hatte, sowie auf die Zeugenaussage der Kindesmutter.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Streithelfers der Beklagten hat das Berufungsgericht als unzulässig verworfen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Streithelfer sein Begehren weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber unzulässig. Der von der Rechtsbeschwerde ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) liegt nicht vor.

1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, der Streithelfer sei nur einfacher Streithelfer und könne gegen den Widerspruch der Hauptpartei nicht wirksam Berufung einlegen. Ein Fall der streitgenössischen Nebenintervention liege nicht vor. Die Hauptpartei des Streithelfers, also die Beklagte, habe indes durch Schreiben vom 7. Dezember 2006 der Einlegung der Berufung widersprochen und dies dadurch bekräftigt, dass sie mit Schriftsatz vom 5. Februar 2007 beantragt habe, Prozesskostenhilfe zur Abwehr der Berufung des Streithelfers zu bewilligen.

2. Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Der Anspruch des Streithelfers auf rechtliches Gehör rechtfertigt keine regelwidrige Zulassung der Berufung.

Macht ein Verfahrensbeteiligter im Wege eines Rechtsmittels oder eines sonstigen Rechtsbehelfs eine Gehörsverletzung geltend – wie hier der Streithelfer der Beklagten im Rahmen des Berufungsverfahrens -, wird er allerdings in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz und in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn ihm der Weg zu einer fachgerichtlichen Überprüfung dieser Rüge ohne sachliche Rechtfertigung versperrt wird (vgl. BVerfG NJW 2007, 2242, 2244 zu § 78 a ArbGG). Dementsprechend gehört es zu den rechtsstaatlichen Mindeststandards, dass eine gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör möglich ist (BVerfG NJW 2007, 2242, 2243; BVerfGE 107, 395, 407 = NJW 2003, 1924, 1926; vgl. auch BVerfG NJW 1999, 1176, 1177; BVerfGE 60, 96, 99).
In Anwendung dieser Grundsätze verstößt der angefochtene Beschluss indes nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Vielmehr hat das Berufungsgericht die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht den Streithelfer der Beklagten nicht als streitgenössischen Nebenintervenienten (§ 69 ZPO) angesehen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der dem Rechtsstreit im Falle einer Anfechtungsklage des Kindes, der Mutter oder des rechtlichen Vaters beitretende potenzielle biologische Vater lediglich unselbstständiger Nebenintervenient gemäß § 66 ZPO, nicht aber streitgenössischer Nebenintervenient (Senatsbeschlüsse BGHZ 173, 90, 92 = FamRZ 2007, 1729 f. und vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1734; vgl. außerdem zum alten Kindschaftsrecht Senatsbeschluss BGHZ 92, 275, 276 ff. = FamRZ 1985, 61 und BGH Urteil BGHZ 83, 391, 395 = FamRZ 1982, 692). Daran ist jedenfalls für den Fall festzuhalten, dass der potenzielle biologische Vater – wie hier – der beklagten Partei mit dem Ziel beitritt, eine spätere Feststellung der eigenen Vaterschaft zu verhindern. In diesem Fall wirkt das im Anfechtungsprozess ergehende Urteil nicht unmittelbar auf die Rechtsbeziehungen des Nebenintervenienten ein (zu dieser Voraussetzung Senatsbeschluss vom 17. Januar 2001 – XII ZB 194/99 – NJW 2001, 1355; Zöller/Vollkommer ZPO 27. Aufl. § 69 Rdn. 1; vgl. außerdem zur Stellung als Beteiligter in ab dem 1. September 2009 eingeleiteten Verfahren § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG [BGBl. 2008 I S. 2586], der ebenfalls eine unmittelbare Rechtsbetroffenheit voraussetzt). Das Anfechtungsurteil stellt keine rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kind und dem Nebenintervenienten im Sinne von §§ 1592, 1593 BGB her (Senatsbeschlüsse BGHZ 173, 90, 95 und vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1733; vgl. auch BGHZ 83, 391, 394), ebenso wenig ermöglicht es unmittelbar die Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterhalt bzw. Unterhaltsregress (vgl. BGHZ 92, 275, 278 und 83, 391, 394). Vielmehr ist die Rechtsstellung des biologischen Vaters nur insoweit mittelbar betroffen, als das rechtskräftige Anfechtungsurteil den Weg zur Feststellung seiner Vaterschaft mit den damit verbundenen Pflichten freigibt (Senatsbeschluss vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1733).

Eine andere Betrachtungsweise folgt auch nicht daraus, dass die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung die Rechtsverteidigung des potenziellen biologischen Vaters in einem späteren Vaterschaftsfeststellungsverfahren verkürzen würde. Denn er kann in diesem Verfahren seine eigene biologische Vaterschaft bestreiten, ohne dass die Erforschung der wahren Abstammungsverhältnisse unter Einbeziehung des im erfolgreichen Anfechtungsverfahren als Hauptpartei beteiligten Mannes ausgeschlossen ist (Senatsbeschlüsse BGHZ 173, 90, 95 und vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1733). Zwar kann sich der mögliche biologische Vater im Feststellungsverfahren nach §§ 1600 d, 1600 e BGB nicht mehr auf den Standpunkt stellen, das Kind sei rechtlich doch der Hauptpartei des Anfechtungsverfahrens zuzuordnen (Senatsbeschluss vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1733). Dies beruht allerdings darauf, dass das Anfechtungsurteil gemäß § 640 h Abs. 1 Satz 1 ZPO für und gegen alle wirkt. Insofern handelt es sich um allgemeine Auswirkungen des Gestaltungsurteils, die den seine Vaterschaft abwehrenden biologischen Vater  wie jeden anderen Dritten auch – nicht in rechtlich besonders geschützten Belangen treffen (Senatsbeschluss vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1733; OLG Hamm FamRZ 2002, 30, 31; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 92, 275, 277).

b) Folgerichtig hat das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht die Berufung des Streithelfers als unzulässig gewertet. Ein unselbstständiger Streithelfer darf sich gemäß § 67 ZPO nicht in Widerspruch zu den Handlungen der von ihm unterstützen Hauptpartei setzen. Er darf Prozesshandlungen nur so lange vornehmen, wie sich ein ausdrücklich erklärter oder aus dem Gesamtverhalten im Verfahren zu entnehmender gegenteiliger Wille der Hauptpartei nicht feststellen lässt (BGH Beschluss vom 27. September 2007 – VII ZB 85/06 – NJW-RR 2008, 261 m.w.N.). Die Beklagte hat indes der Berufungseinlegung widersprochen.

c) Auch dass das Amtsgericht den Anspruch des Streithelfers auf rechtliches Gehör verletzt hat, führt nicht dazu, dass die Berufung des Streithelfers abweichend von § 67 ZPO auch gegen den Willen der von ihm unterstützten Hauptpartei zulässig wäre.

aa) Allerdings steht auch dem seine Vaterschaft abwehrenden potenziellen biologischen Vater im Falle seines Beitritts im Anfechtungsprozess ein Anspruch auf rechtliches Gehör zu. Wenn es Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht erfordert, den möglichen biologischen Vater gemäß § 640 e Abs. 1 ZPO von Amts wegen beizuladen (Senatsbeschluss vom 4. Juli 2007 – XII ZB 68/04 – FamRZ 2007, 1731, 1733), so hat er doch im Falle seines Beitritts die Rechtsstellung eines unselbstständigen Nebenintervenienten und ist daher im Hauptverfahren hinzuzuziehen (vgl. § 71 Abs. 3 ZPO). Er hat also ein Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und auf Beteiligung an ihrer schriftsätzlichen Vorbereitung. Alle Schriftsätze, Ladungen und Bekanntmachungen von Terminen sind ihm zu übermitteln (Musielak/Weth ZPO 6. Aufl. § 67 Rdn. 3; Stein/Jonas/ Bork ZPO 22. Aufl. § 67 Rdn. 18 f.). Auch ist er berechtigt, in den Grenzen des § 67 ZPO Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen. Insofern steht dem Streithelfer ein Anspruch auf rechtliches Gehör zu (BAG MDR 1988, 345, 346; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig GG Art. 103 Abs. 1 Rdn. 34; Musielak/Weth ZPO 6. Aufl. § 67 Rdn. 3; Bonner Kommentar zum GG/Rüping Art. 103 Abs. 1 Rdn. 95; Sachs/ Degenhart GG 3. Aufl. Art. 103 Rdn. 6; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. vor § 128 Rdn. 35; Zöller/Vollkommer ZPO 27. Aufl. § 67 Rdn. 2). Bei diesem Anspruch handelt es sich nicht um ein vom Recht der unterstützten Hauptpartei auf rechtliches Gehör abgeleitetes, unselbstständiges Recht, sondern der Streithelfer ist originär Träger des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BAG MDR 1988, 345, 346; Bonner Kommentar zum GG/Rüping Art. 103 Abs. 1 Rdn. 95; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. vor § 128 Rdn. 35; Zöller/Vollkommer ZPO 27. Aufl. § 67 Rdn. 2).

bb) Das Amtsgericht hat das Recht des Streithelfers der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Es hat ihn weder zur mündlichen Verhandlung geladen, noch hat es ihm Gelegenheit gegeben, sich zu allen entscheidungserheblichen Tat und Rechtsfragen zu äußern und gehört zu werden (vgl. zur Nebenintervention BAG MDR 1988, 345, 346; Musielak/Weth ZPO 6. Aufl. § 67 Rdn. 3 und allgemein Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. vor § 128 Rdn. 42, 59 f. m.w.N.). Unerheblich sind hierbei im Ausgangspunkt die Gründe dafür, dass das erkennende Gericht erst nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils Kenntnis vom Schriftsatz des Streithelfers vom 20. Oktober 2006 erlangt hat. Denn eine Gehörsverletzung setzt nicht voraus, dass dem Gericht ein Verschulden zur Last fällt (BVerfG NJW 1993, 51; BVerfGE 62, 347, 352; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig GG Art. 103 Abs. 1 Rdn. 142; Bonner Kommentar zum GG/Rüping Art. 103 Abs. 1 Rdn. 110 m.w.N.; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. vor § 128 Rdn. 65).

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Streithelfer den Beitrittsschriftsatz mit einem unrichtigen Aktenzeichen versehen hat und daher (mit)verantwortlich für dessen verspätete Vorlage an den zuständigen Richter ist.

Zwar ist von einem Prozessbeteiligten zu verlangen, dass er die nach der jeweiligen prozessualen Lage möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur Wahrung seines Gehörs unternimmt, wenn er dessen Verletzung mit Erfolg rügen will (BVerfG Beschluss vom 29. März 2007 – 2 BvR 2366/06 – iuris; BVerfGE 74, 220, 225 m.w.N.; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. vor § 128 Rdn. 45). Liegt die Ursache für die fehlende Gewährung rechtlichen Gehörs im Verantwortungsbereich des Beteiligten, kann daher eine Gehörsverletzung zu verneinen sein. Dem entspricht es, dass das Bundesverfassungsgericht in Fällen, in denen ein Gericht einen Schriftsatz nicht berücksichtigt hat, eine Gehörsverletzung unter der Voraussetzung bejaht, dass der Schriftsatz „ordnungsgemäß eingegangen“ war (BVerfG NJW 1993, 51; BVerfGE 62, 347, 352).

Indes ist anerkannt, dass Gerichten in gewissen Grenzen Fürsorgepflichten zukommen können, die auch dazu dienen, den Verfahrensbeteiligten unterlaufene Fehler auszugleichen. So obliegt es nach ständiger Rechtsprechung in Fällen, in denen ein fristgebundener Schriftsatz nicht an das Rechtsmittelgericht, sondern an das erstinstanzliche Gericht adressiert wurde, dem unzuständigen Gericht aufgrund einer nachwirkenden Fürsorgepflicht, diesen Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, falls der Schriftsatz so rechtzeitig eingegangen war, dass eine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden des Verfahrensbeteiligten oder seines Bevollmächtigten nicht mehr aus (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH Beschlüsse vom 28. Juni 2007 – V ZB 187/06 – FamRZ 2007, 1640 und vom 3. September 1998 – IX ZB 46/98 – VersR 1999, 1170, 1171 m.w.N.; BVerfG NJW 2001, 1343 und 1995, 3173, 3175).

Weiter hält die Rechtsprechung das Gericht im Falle einer nicht genügend entschuldigten Verspätung erheblichen Vorbringens für verpflichtet, seinerseits im Rahmen des Zumutbaren alle erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen rechtzeitig zu veranlassen, um eine Verzögerung des Rechtsstreites abzuwenden. Versäumt es dies, kann das Vorbringen nicht gemäß § 296 Abs. 1 bzw. Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Denn eine Präklusion ist jedenfalls dann nicht mit dem Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs zu vereinbaren, wenn richterliches Fehlverhalten, namentlich eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht, die Verzögerung mitverursacht hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 75, 138, 142 f.; BVerfG NJW-RR 1999, 1079; BVerfGE 81, 264, 273 f. = NJW 1990, 2373, 2374). Ferner ist die richterliche Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO als Ausfluss der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts zu werten, bei deren Verletzung der Anspruch auf rechtliches Gehör tangiert sein kann (vgl. etwa BGH Beschluss vom 13. März 2008 – VII ZR 204/06 – NJW-RR 2008, 973).

Diese Grundsätze können auf Konstellationen übertragen werden, in denen Schriftsätze bzw. darin enthaltene Verfahrenshandlungen oder Vorbringen eines (potentiellen) Verfahrensbeteiligten infolge eines diesem unterlaufenen Fehlers unberücksichtigt zu bleiben drohen. Gerade weil in solchen Fällen dessen Anspruch auf rechtliches Gehör berührt ist, vermag der Fehler des Verfahrensbeteiligten das Gericht nicht von seiner Verpflichtung zu entbinden, zumutbare Maßnahmen zu treffen, damit der Schriftsatz dennoch berücksichtigt werden kann. Denn grundsätzlich ist das Gericht dafür verantwortlich, dass das Gebot des rechtlichen Gehörs eingehalten wird (BVerfG NJW 1990, 2374).

Danach beseitigt der Fehler des Streithelfers die dem Amtsgericht unterlaufene Gehörsverletzung nicht. Der Schriftsatz, in welchem der Streithelfer seinen Beitritt erklärte, war 10 Tage vor der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangen. Die Parteien des in Rede stehenden Rechtsstreits waren im Schriftsatz bezeichnet, außerdem war im Betreff kenntlich gemacht, dass es sich bei dem Rechtsstreit, dem der Streithelfer beitreten wollte, um ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren handelte. Zudem betraf das (unrichtige) Aktenzeichen das Verfahren der Anordnung der Ergänzungspflegschaft für den fraglichen Rechtsstreit, also ein Verfahren, das in engem sachlichen Zusammenhang zu dem Rechtsstreit stand, auf welchen sich der Beitritt bezog. Angesichts dieser Umstände konnte erwartet werden, dass der Schriftsatz im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin dem zuständigen Richter zugeleitet würde. Folglich hat sich mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des Gerichts ein etwaiges Verschulden des Streithelfers nicht mehr ausgewirkt.

cc) Dass das Amtsgericht den Anspruch des Streithelfers auf rechtliches Gehör verletzt hat, kann indes nicht zur Folge haben, dass die Berufung unter einschränkender Auslegung des § 67 ZPO auch gegen den Willen der von ihm unterstützten Hauptpartei zulässig wäre.

Allerdings widerspräche es den rechtsstaatlichen Mindeststandards, wenn im Falle einer Verletzung des dem Streithelfer zustehenden Anspruchs auf rechtliches Gehör gegen den Widerspruch der Hauptpartei kein fachgerichtlicher Rechtsschutz gegeben wäre. Nachdem nämlich dem Streithelfer ein originärer Anspruch auf rechtliches Gehör zusteht, welcher nicht vom Gehörsrecht der unterstützten Hauptpartei abgeleitet ist (vgl. oben 2 c aa), muss auch die Möglichkeit bestehen, dieses Recht unabhängig von der Hauptpartei zu verfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört in einem Rechtsstaat zu der grundrechtsgleichen Garantie des Art. 103 Abs. 1 GG die Möglichkeit einer zumindest einmaligen gerichtlichen Kontrolle ihrer Einhaltung (vgl. BVerfG NJW 2007, 2242, 2243; BVerfGE 107, 395, 407, 409 = NJW 2003, 1924, 1926). Ohne eine eigenständige Befugnis des Streithelfers, eine etwaige Verletzung seines originären Gehörsrechts unabhängig vom Willen der unterstützen Hauptpartei der gerichtlichen Kontrolle zuzuführen, bliebe die Gehörsgewährleistung insoweit rechtsstaatlich defizitär. Dabei genügt die Möglichkeit, die Verletzung des rechtlichen Gehörs mittels der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen, nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Vielmehr entspricht es dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Prüfung von gerichtlichen Gehörsverstößen und ihre Beseitigung in erster Linie durch die Fachgerichte selbst erfolgen (BVerfG NJW 2007, 2242, 2244; BVerfGE 107, 395, 410 f., 413 f. = NJW 2003, 1924, 1926 ff.). In Konsequenz dieser Erwägungen ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 67 ZPO geboten.

Diese gebotene verfassungskonforme Auslegung des § 67 ZPO kann indes nicht zum Inhalt haben, dass in Fällen der Verletzung des unselbstständigen Streithelfers in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör dessen Berufung gegen den Willen der von ihm unterstützten Hauptpartei zulässig wäre. Vielmehr ist § 67 ZPO dahingehend einschränkend auszulegen, dass in solchen Fällen der Streithelfer die Gehörsrüge gemäß § 321 a ZPO wirksam einlegen kann, auch wenn dies in Widerspruch zu Erklärungen oder Handlungen der Hauptpartei steht. Nur eine solche Lösung entspricht dem Zweck des Anhörungsrügengesetzes, entsprechend den Anforderungen an das Gebot der Rechtsmittelklarheit eine umfassende und abschließende Regelung für Konstellationen zu treffen, in denen ein Gericht, dessen Entscheidung im Ausgangspunkt unanfechtbar ist, das rechtliche Gehör verletzt hat (BT-Drucks. 15/3706 S. 15; Bonner Kommentar zum GG/Rüping Art. 103 Abs. 1 Rdn. 112; vgl. auch BVerfG NJW 2006, 2907, 2908). Auch entspricht sie der Vorstellung des Gesetzgebers, der eine Fehlerkorrektur innerhalb der Instanz für vorzugswürdig hält, weil sie eine einfache und ökonomische Abhilfe ermöglicht (BT-Drucks. 14/4722 S. 85; vgl. auch BGHZ 150, 133, 136).

Zudem ist eine einschränkende Auslegung des § 67 ZPO im obigen Sinne auch deshalb zu befürworten, weil diese Lösung verhindert, dass dem Streithelfer infolge der Gehörsverletzung mehr Rechte zustehen, als er ohne eine solche innehätte. Würde man die Berufung gegen den Willen der Hauptpartei zulassen, hätte der Streithelfer alleine infolge des Gehörsverstoßes die Möglichkeit, das Urteil einer Überprüfung durch die höhere Instanz zuzuführen. Demgegenüber hat eine erfolgreiche Anhörungsrüge lediglich zur Folge, dass das Verfahren in erster Instanz fortgesetzt wird, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist, § 321 a Abs. 5 ZPO. Insoweit sind dann im Übrigen wiederum die Beschränkungen der Befugnisse des Streithelfers gemäß § 67 ZPO zu beachten.

BGH, Beschluss vom 17.06.2009
XII ZB 75/07

AG Bielefeld, Entscheidung vom 31.10.2006
34 F 531/06

OLG Hamm, Entscheidung vom 20.04.2007
9 UF 139/06

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