BGH: Ermittlung und Feststellung eines ehebedingten Nachteils

a) Um den ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Einkommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß §§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Die Differenz aus den beiden Positionen ergibt grundsätzlich den ehebedingten Nachteil.

b) Der Unterhaltsberechtigte kann im Einzelfall seiner – sekundären – Darlegungslast genügen, wenn er vorträgt, dass in dem von ihm erlernten Beruf Gehaltssteigerungen in einer bestimmten Höhe mit zunehmender Berufserfahrung bzw. Betriebszugehörigkeit üblich sind.

c) Bei feststehenden Nachteilen ist eine exakte Feststellung zum hypothetisch erzielbaren Einkommen des Unterhaltsberechtigten nicht notwendig. Die Tatsachengerichte können sich bei geeigneter Grundlage einer Schätzung entsprechend § 287 ZPO bedienen.

Das Gericht muss in der Entscheidung jedoch die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung und ihre Auswertung in objektiv nachprüfbarer Weise angeben.

d) Bei den in § 1578 b BGB aufgeführten Kriterien handelt es sich um objektive Umstände, denen kein Unwerturteil bzw. keine subjektive Vorwerfbarkeit anhaftet, weshalb im Rahmen der Abwägung des § 1578 b BGB keine Aufarbeitung ehelichen Fehlverhaltens stattfindet.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterinnen Weber-Monecke und Dr. Vézina sowie die Richter Schilling und Dr. Günter

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2009 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Abänderung eines Urteils über die Zahlung von Aufstockungsunterhalt.

Die am 1. Juni 1973 geschlossene Ehe der Parteien wurde am 26. September 2000 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind drei Töchter hervorgegangen, die 1974, 1977 und 1981 geboren sind. Die 1951 geborene Beklagte lernte nach ihrem Schulabschluss den Beruf der Erzieherin und übte diese Tätigkeit bis 1974 aus. Die folgenden 24 Jahre war die Beklagte Hausfrau und Mutter ohne eigene Berufstätigkeit. Von 1998 bis Sommer 2000 arbeitete sie im Bereich der Hausaufgabenbetreuung stundenweise. Im August 2000 nahm sie eine Teilzeitbeschäftigung als Erzieherin auf, die sie im Jahre 2001 auf eine Tätigkeit mit einer 35-Stunden-Woche aufstockte. Aus betriebsbedingten Gründen wurde ihr zum 31. März 2007 gekündigt. Vom 1. April 2007 bis zum 17. Oktober 2007 war sie befristet in Vollzeit als Erzieherin eingestellt. Anschließend arbeitete sie mit einer 87 %-Stelle, befristet bis zum 31. August 2009.

Das Amtsgericht Duisburg hatte den Kläger mit Urteil vom 17. November 2004 verpflichtet, an die Beklagte monatlichen Unterhalt in Höhe von gerundet 564 € zu zahlen. Dem Urteil liegen die Renteneinkünfte des Klägers mit bereinigt 2.189 € und die damaligen Einnahmen der Beklagten mit bereinigt 1.061 € zugrunde.

Auf die Abänderungsklage des Klägers hat das Amtsgericht den titulierten Aufstockungsunterhalt bis 31. Dezember 2008 befristet. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist zulässig und begründet.

A.

Zu Recht verweist die Revision darauf, dass die Zulassung der Revision unbeschränkt ist. Zwar hat das Berufungsgericht die Zulassung damit begründet, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei langen Berufspausen der Unterhaltsanspruch nach neuem Recht zu begrenzen sei, noch offen sei. Darin ist jedoch keine – unzulässige – Beschränkung der Revision auf bestimmte Rechtsfragen zu sehen (vgl. dazu Senatsurteil vom 15. September 2010 – XII ZR 148/09 – zur Veröffentlichung bestimmt; BGHZ 101, 276, 278; BGH Urteil vom 20. Mai 2003 – XI ZR 248/02 – BGHR ZPO [1. Januar 2002] § 543 – Revisionszulassung, beschränkte 1), sondern lediglich ein Hinweis auf die Motivation der Revisionszulassung.

B.
Im Revisionsverfahren steht nur noch der Unterhaltsanspruch der Beklagten für die Zeit nach dem 31. Dezember 2008 im Streit. Denn wegen des davor liegenden Zeitraums ist das amtsgerichtliche Urteil, gegen das allein die Beklagte Berufung eingelegt hatte, rechtskräftig.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteile vom 11. August 2010 – XII ZR 102/09 – juris Rn. 8 und vom 25. November 2009 – XII ZR 8/08FamRZ 2010, 192 Rn. 5).

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse sei seit der Entscheidung des Amtsgerichts Duisburg keine wesentliche Änderung eingetreten. Soweit der Beklagten nach dem Vortrag des Klägers bei einer Vollbeschäftigung ein Nettoeinkommen von 1.426 € zuzurechnen wäre, verblieben nach Abzug der berufsbedingten Aufwendungen von 5 % und des Erwerbstätigenbonus von 1/7 nur 1.161,42 €. Unter Berücksichtigung eines unbestrittenen Nettoeinkommens des Klägers von 2.316 € errechne sich ein den titulierten Betrag sogar übersteigender Aufstockungsunterhalt von 577 €. Zinseinkünfte seien der Beklagten nicht fiktiv zuzurechnen, da diese bereits bei der Ausgangsentscheidung des Amtsgerichts keine Berücksichtigung gefunden hätten. Eine Befristung oder Beschränkung des im Jahr 2004 vom Amtsgericht titulierten Aufstockungsunterhalts komme nicht in Betracht, wobei der Kläger mit dem Einwand der Befristung nicht bereits gemäß § 323 Abs. 2 ZPO präkludiert sei. Zwar führe nach der neuen Rechtslage allein die Annahme einer langen Ehe nicht dazu, dass eine Begrenzung der Unterhaltsansprüche ausgeschlossen wäre. Entscheidend sei vielmehr das Vorliegen ehebedingter Nachteile. Die Dauer der Ehe sei aber gleichwohl von Bedeutung, da sich der (berufliche) Nachteil, der sich nach der Scheidung für den sich der Kinderbetreuung und der Haushaltsführung widmenden Ehegatten ergebe, in aller Regel mit zunehmender Dauer der Ehe erhöhe.

Dass auf Seiten der Beklagten ehebedingte Nachteile eingetreten seien, stehe fest. Die 27 Jahre bestehende Ehe der Parteien sei geprägt durch die klassische Aufteilung in einen haushaltsführenden und einen erwerbstätigen Teil. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Beklagte nach der Scheidung wieder eine Anstellung als Erzieherin und zum Teil auch in Vollzeit habe finden können. Der derzeitige Vertrag der Beklagten sei bis Ende August 2009 befristet; eine nachhaltige Sicherung ihres Einkommens aus Berufstätigkeit könne damit nicht angenommen werden. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte einen gesicherten Arbeitsplatz hätte, wenn sie durchgängig berufstätig gewesen wäre.

Ein ehebedingter Nachteil sei aber auch darin zu sehen, dass der berufliche Werdegang der Beklagten anders verlaufen wäre, wenn sie ihre Berufstätigkeit nicht über mehrere Jahrzehnte unterbrochen hätte. Bei einer derart langen Berufspause wie im vorliegenden Fall dürften keine überspitzten Anforderungen an die Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten gestellt werden. Wenn eine abgeschlossene Schulausbildung und eine abgeschlossene Berufsausbildung mit anschließender Übernahme zur weiteren Beschäftigung gegeben sei, indiziere eine Berufspause von über 25 Jahren auch den ehebedingten Nachteil im beruflichen Fortkommen. Die Beklagte habe substantiiert dargelegt, welche Aufstiegschancen sie ohne Berufspause gehabt hätte und über welches Einkommen sie dann verfügen könnte. Der titulierte Unterhalt entspreche danach auch in der Höhe dem erlittenen Nachteil. Die Beklagte habe ohne Probleme ihre Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen. Anschließend habe sie ihren Beruf ausgeübt und binnen kürzester Zeit eigenverantwortlich eine Gruppe geleitet. Sie habe sich dann engagiert der Versorgung ihrer Familie und der Erziehung der drei kurz hintereinander geborenen Töchter gewidmet. Dass ihr später der Einstieg in ihrem erlernten Beruf trotz ihres fortgeschrittenen Alters gelungen sei, spreche dafür, dass sie engagiert, zielstrebig und leistungsbereit sei. Diese Eigenschaften hätten der Beklagten zu einem beruflichen Aufstieg verholfen. Dies zeige sich auch darin, dass ihr nach der Kündigung der ersten Tätigkeit noch eine Anstellung bei einer anderen Einrichtung in einer völlig anderen Region gelungen sei. Ihr Vortrag, sie hätte bei fortgesetzter Tätigkeit Aufstiegschancen gehabt, sei damit schlüssig und nachvollziehbar.

Zudem ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 36 EGZPO ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten auf den Bestand ihres Unterhaltsanspruchs. Für die Bemessung der „Schonfrist“ könne im Sinne dieser Vorschrift nicht auf die Scheidung im Jahre 2000 abgestellt werden. Insofern sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte bereits zwei unbefristete Unterhaltstitel seit der Trennung erstritten habe und ihre Einkünfte bis zur Rente nicht mehr steigern könne. Sie arbeite nahezu vollschichtig. Aufstiegschancen habe sie nicht. Aufgrund ihres Alters und aufgrund der langen Ehe und bisher geleisteten Unterhaltszahlung sei eine derartige wirtschaftliche Verflechtung eingetreten, dass der Beklagten eine Änderung nicht zumutbar erscheine.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und im Übrigen von der Revision auch nicht gerügt ist, dass das Berufungsgericht hinsichtlich des Erwerbseinkommens und der Zinseinkünfte eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne von § 323 ZPO aF abgelehnt hat.

2. Zutreffend hat das Berufungsgericht zudem ausgeführt, dass der Kläger mit seinem Befristungsverlangen nicht präkludiert sei.

Eine wesentliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinne von § 323 Abs. 2 ZPO aF kann sich auch aus einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof ergeben (Senatsurteile vom 27. Januar 2010 – XII ZR 100/08FamRZ 2010, 538 Rn. 22 und BGHZ 171, 206 = FamRZ 2007, 793 Rn. 36). Eine solche Änderung liegt hier vor. Die Rechtsprechung des Senats hat sich mit Urteil vom 12. April 2006 (XII ZR 240/03FamRZ 2006, 1006), also nach Abschluss des Vorprozesses, dahin geändert, dass es schon bei der nach § 1573 Abs. 5 BGB aF anzustellenden Billigkeitsabwägung nicht mehr vorrangig auf die Dauer der Ehe ankam, sondern auf die dem Unterhaltsberechtigten entstandenen ehebedingten Nachteile (Senatsurteil vom 18. November 2009 – XII ZR 65/09FamRZ 2010, 111 Rn. 60 und vom 27. Januar 2010 – XII ZR 100/08FamRZ 2010, 538 Rn. 22).

Auf das Fehlen solcher Nachteile hat der Kläger seine Abänderungsklage vorwiegend gestützt.

3. Jedoch rechtfertigen die vom Berufungsgericht vorgenommenen Feststellungen die Ablehnung einer Begrenzung nach § 1578 b BGB nicht.

a) Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Nach § 1578 b Abs. 2 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus § 1578 b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist bei der Billigkeitsabwägung vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Ehe ergeben.

aa) Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs, der nach § 1578 b Abs. 1 BGB die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts bildet, bemisst sich dabei nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Erzielt der Unterhaltsberechtigte eigene Einkünfte, die diesen angemessenen Unterhaltsbedarf erreichen, oder könnte er solche Einkünfte erzielen, kann dies im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach einer Übergangszeit, in der er sich nach gescheiterter Ehe von den ehelichen Lebensverhältnissen auf den Lebensbedarf nach den eigenen Einkünften umstellen kann, zum vollständigen Wegfall des nachehelichen Unterhalts in Form einer Befristung führen (Senatsurteil vom 14. Oktober 2009 – XII ZR 146/08FamRZ 2009, 1990 Rn. 14 f.). Erzielt der Unterhaltsberechtigte nach einer ehebedingten Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit hingegen lediglich Einkünfte, die den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf nach § 1578 b nicht erreichen, scheidet eine Befristung des Unterhaltsanspruchs regelmäßig aus. Auch dann kann der Unterhalt nach einer Übergangszeit aber bis auf den ehebedingten Nachteil herabgesetzt werden, der sich aus der Differenz des angemessenen Unterhaltsbedarfs mit dem erzielten oder erzielbaren eigenen Einkommen ergibt (Senatsurteil vom 14. Oktober 2009 – XII ZR 146/08FamRZ 2009, 1990 Rn. 16), was freilich voraussetzt, dass der eheangemessene Bedarf den angemessenen Lebensbedarf übersteigt.

Um den ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Einkommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß §§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Die Differenz aus den beiden Positionen ergibt den ehebedingten Nachteil.

bb) Der Umstand, dass der Unterhaltsberechtigte eine vollschichtige Tätigkeit in seinem erlernten Beruf ausübt, ist ein Indiz gegen fortdauernde ehebedingte Nachteile (vgl. Senatsurteil vom 16. April 2008 – XII ZR 107/06FamRZ 2008, 1325 Rn. 41). Hat der Unterhaltsschuldner, der die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für eine Begrenzung sprechenden Tatsachen trägt, eine solche Beschäftigung behauptet, trifft daher den Unterhaltsberechtigten die so genannte sekundäre Darlegungslast. Er muss die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substantiiert bestreiten und seinerseits darlegen, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen (Senatsurteil vom 24. März 2010 – XII ZR 175/08FamRZ 2010, 875 Rn. 23). Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden (Senatsurteil vom 24. März 2010 – XII ZR 175/08FamRZ 2010, 875 Rn. 23).

cc) Die Feststellung aller für die Billigkeitsentscheidung nach § 1578 b BGB in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist – ebenso wie die entsprechende Billigkeitsabwägung – Aufgabe des Tatrichters. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob dieser wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen oder Beweisregeln verkannt hat. Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt insbesondere, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungsgesetze verstößt (Senatsurteil vom 11. August 2010 – XII ZR 102/09 – juris Rn. 42 u. 47).

b) Diesen Maßstäben wird das Berufungsurteil nicht gerecht.

aa) Entgegen der Auffassung der Revision kann dem Berufungsgericht nicht vorgehalten werden, dass es nicht auf den Vortrag des Klägers eingegangen ist, wonach er die Beklagte schon während bestehender Ehe angehalten habe, berufstätig zu sein. Zu Recht verweist die Revisionserwiderung insoweit auf die Begründung zum Gesetzesentwurf, wonach es sich bei den in § 1578 b BGB aufgeführten Kriterien um objektive Umstände handelt, denen kein Unwerturteil bzw. keine subjektive Vorwerfbarkeit anhaftet, weshalb im Rahmen der Abwägung des § 1578 b BGB nicht etwa eine Aufarbeitung ehelichen Fehlverhaltens stattfinde (BT-Drucks. 16/1830 S. 20; s. auch Senatsurteil vom 9. Juli 1986 – IVb ZR 39/85 – FamRZ 1986, 886, 888 zu §§ 1573, 1578 BGB aF).

bb) Jedoch begegnen die vom Berufungsgericht im Rahmen des § 1578 b BGB gezogenen Schlussfolgerungen rechtlichen Bedenken, weil ihnen keine entsprechenden Feststellungen zugrunde liegen.

(1) Das Berufungsgericht hat zum einen in der Befristung der Arbeitsverhältnisse der Beklagten einen „erheblichen Nachteil“ erblickt. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte einen gesicherten Arbeitsplatz hätte, wenn sie durchgängig berufstätig gewesen wäre.

Es hat bei seinen Ausführungen unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte bereits im August 2000 eine Beschäftigung als Erzieherin im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung aufgenommen hat, die sie im Jahr 2001 auf eine 35-Stunden-Woche aufstocken konnte. Diese ersichtlich unbefristete Stelle ist ihr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aus betriebsbedingten Gründen zum 31. März 2007 gekündigt worden. Erst danach erhielt die Beklagte wiederholt befristete Anstellungen. Der vom Berufungsgericht hieraus gezogene Schluss, die nunmehr eingetretene unsichere Beschäftigungslage seitens der Beklagten sei Folge der während der Ehe eingelegten Berufspause, ist nicht zwingend. Denn immerhin hat die Beklagte nach der Ehescheidung rund sieben Jahre in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gearbeitet. Zu Recht rügt die Revision, dass die Beklagte dem Risiko einer betriebsbedingten Kündigung auch ausgesetzt gewesen wäre, wenn sie durchgehend gearbeitet hätte. Zwar mag es sein, dass sie in diesem Fall wegen ihrer langen Betriebszugehörigkeit eher eine betriebsbedingte Kündigung hätte abwenden können. Damit und mit der Frage, wie dieser Nachteil unterhaltsrechtlich im Rahmen des § 1578 b BGB zu berücksichtigen ist, hätte sich das Berufungsgericht auseinandersetzen müssen.

(2) Ferner hat das Berufungsgericht einen ehebedingten Nachteil darin gesehen, dass der berufliche Werdegang der Beklagten anders verlaufen wäre, wenn sie ihre Berufstätigkeit nicht über mehrere Jahrzehnte unterbrochen hätte. Zwar erscheint es vor dem Hintergrund der vom Berufungsgericht vorgenommenen Würdigung der Persönlichkeit und des Lebenslaufs der Beklagten durchaus möglich, dass die Beklagte heute ein – über ihren tatsächlich erzielten Lohn hinausgehendes – Einkommen bezöge, wenn sie keine Berufspause eingelegt hätte. Jedoch sind die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Bemessung des ehebedingten Nachteils nicht hinreichend konkret, obgleich die Beklagte – wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend gemacht hat – zu ihren möglichen Aufstiegschancen und der damit einhergehenden Bezahlung unter Vorlage entsprechender Entgelttabellen im Einzelnen vorgetragen hat.

Dem Berufungsgericht ist zwar dahin Recht zu geben, dass bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden Art keine überspannten Anforderungen an die Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten gestellt werden dürfen. Deshalb kann der Unterhaltsberechtigte im Einzelfall seiner – sekundären – Darlegungslast genügen, wenn er vorträgt, dass in dem von ihm erlernten Beruf Gehaltssteigerungen in einer bestimmten Höhe mit zunehmender Berufserfahrung bzw. Betriebszugehörigkeit üblich sind.

Anders verhält es sich indes bei einem behaupteten beruflichen Aufstieg. Hier muss der Unterhaltsberechtigte darlegen, aufgrund welcher Umstände (wie etwa Fortbildungsbereitschaft, bestimmte Befähigungen, Neigungen Talente etc.) er eine entsprechende Karriere gemacht hätte. Im Übrigen hat der Senat bereits ausgeführt, dass bei feststehenden Nachteilen eine exakte Feststellung zum hypothetisch erzielbaren Einkommen des Unterhaltsberechtigten nicht notwendig ist; die Tatsachengerichte können sich vielmehr insoweit bei geeigneter Grundlage einer Schätzung entsprechend § 287 ZPO bedienen. Für die Billigkeitsbetrachtung wird es dann in der Regel genügen, wenn das ungefähre Ausmaß der Einbuße feststeht (Senatsurteil vom 4. August 2010 – XII ZR 7/09FamRZ 2010, 1633 Rn. 39). Dies entbindet das Gericht indes nicht davon, in seiner Entscheidung die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung und ihre Auswertung in objektiv nachprüfbarer Weise anzugeben (BGHZ 6, 62, 63; Senatsurteil vom 26. März 2003 – XII ZR 167/01 – NJW-RR 2003, 873, 874; Laumen in Prütting/Gehrlein ZPO § 287 Rn. 21).

Demgegenüber hat das Berufungsgericht lediglich ausgeführt, dass sich die Beklagte in ihrem erlernten Beruf weiter entwickelt hätte und damit über Einkommen aus einer höheren Lohngruppe verfügen würde; dabei entspreche der titulierte Unterhalt in der Höhe dem erlittenen Nachteil. Zwar lässt sich daraus schließen, dass das Berufungsgericht von einem ehebedingten Nachteil in Höhe von 564 € ausgegangen ist. Welchen angemessenen Lebensbedarf es auf Seiten der Beklagten zugrunde gelegt hat, bleibt indessen offen. Seinen Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, welches Einkommen es ihr tatsächlich zugerechnet hat; den Einwand des Klägers, bei einer Vollbeschäftigung könne ihr ein Nettoeinkommen von 1.426 € zugerechnet werden, hat das Berufungsgericht ersichtlich dahin stehen lassen. Ebenso wenig wird deutlich, ob es der Beklagten – in diesem Fall zu Unrecht (vgl. BGHZ 178, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 17) – einen Erwerbstätigenbonus zugebilligt hat. Nach alledem hat das Berufungsgericht die Grundlagen seiner Schätzung nicht konkretisiert. Allein durch die pauschale Bezugnahme auf den Vortrag der Beklagten kann sich das Gericht diesem Erfordernis nicht entziehen.

cc) Ebenso wenig vermögen die Feststellungen des Berufungsgerichts zu einer wirtschaftlichen Verflechtung der Parteien und zum Vertrauensschutz die angefochtene Entscheidung zu rechtfertigen. Beides hat das Berufungsgericht ausweislich der Urteilsgründe unter dem Rechtsgedanken des § 36 EGZPO geprüft. Beide Gesichtspunkte sind bereits Bestandteil der nach § 1578 b BGB durchzuführenden Billigkeitsabwägung.

(1) Die wirtschaftliche Verflechtung der Eheleute stellt einen eigenen Gesichtspunkt der Billigkeitsprüfung dar. Die Ehedauer gewinnt hierdurch insbesondere bei Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung besonderes Gewicht. (Senatsurteil vom 11. August 2010 – XII ZR 102/09FamRZ 2010, 1637 Rn. 48). Soweit das Berufungsgericht jedoch sinngemäß ausgeführt hat, dass auf Grund des Alters der Beklagten, der langen Ehe und der bisher geleisteten Unterhaltszahlungen eine derartige wirtschaftliche Verflechtung eingetreten sei, so dass der Beklagten eine Änderung nicht zumutbar erscheine, fehlt es bereits an einer zutreffenden Feststellung der Ehedauer. Ersichtlich hat das Berufungsgericht auf die Rechtskraft der Ehescheidung abgestellt. Für die Ehedauer ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf die Zeit von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags abzustellen (Senatsurteil vom 30. Juni 2010 – XII ZR 9/09FamRZ 2010, 1414 Rn. 30 mwN). Feststellungen zur Zustellung des Scheidungsantrags enthält weder das Berufungsurteil noch das Urteil des Amtsgerichts.

(2) Soweit das Berufungsgericht ferner unter Bezugnahme auf § 36 EGZPO ausführt, die Beklagte habe ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand ihres Unterhaltsanspruchs, vermag dies die getroffene Entscheidung schließlich ebenso wenig zu rechtfertigen.

Voraussetzung für die Abänderung eines vor dem 1. Januar 2008 rechtskräftig gewordenen Urteils gemäß § 36 Nr. 1 EGZPO ist u.a., dass die Änderung dem anderen Teil – hier also der Beklagten – unter Berücksichtigung seines Vertrauens in die getroffene Regelung zumutbar ist. Dabei ist dieser Gesichtspunkt bereits bei der Prüfung der Unbilligkeit nach § 1578 b BGB zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 30. Juni 2010 – XII ZR 9/09FamRZ 2010, 1414 Rn. 32). Das Vertrauen des Unterhaltsberechtigten auf den Fortbestand eines titulierten Unterhalts ist danach insbesondere dann schutzwürdig, wenn sich die unterhaltsberechtigte Person auf den Fortbestand der Regelung eingestellt hat (BT-Drucks. 16/1830 S. 33). Gewiss können im Rahmen der am Maßstab des § 36 Nr. 1 EGZPO vorzunehmenden Zumutbarkeitsprüfung der Dauer der Ehe und der Pflege oder Erziehung gemeinschaftlicher Kinder sowie der Gestaltung von Haushaltsführung indizielle Bedeutung für einen Vertrauensschutz zukommen. Entscheidend geht es aber um die Frage, wie sehr sich der Unterhaltsberechtigte auf den – zur Überprüfung gestellten – Unterhaltstitel verlassen darf. Dabei ist schließlich zu beachten, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Unabänderbarkeit eines Titels nicht den Regelfall darstellt (Senatsurteil vom 30. Juni 2010 – XII ZR 9/09FamRZ 2010, 1414 Rn. 34).

Diesen Anforderungen werden die vom Berufungsgericht gemachten Ausführungen nicht gerecht.

III.

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO. Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Sie war vielmehr gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit es die für die Frage einer Befristung maßgeblichen Feststellungen treffen kann.

IV.

Die Zurückverweisung wird dem Berufungsgericht Gelegenheit geben, neben den noch zu treffenden Feststellungen die aktuelle Beschäftigungssituation der Beklagten bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.

Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Prüfung das Vorliegen eines konkreten ehebedingten Nachteils bejahen, wäre nichts dagegen einzuwenden, der Beklagten in Höhe dieses Nachteils unbefristet Unterhalt zu gewähren. Sollte es hingegen einen ehebedingten Nachteil ablehnen, wäre – vorbehaltlich der noch zu treffenden Feststellungen im Übrigen wie namentlich der Ehedauer – zumindest zu erwägen, der Beklagten bei einer etwaigen Befristung eine großzügige Frist einzuräumen.

BGH, Urteil vom 20.10.2010
XII ZR 53/09

AG Hanau, Entscheidung vom 14.08.2008
63 F 1699/07

OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 03.03.2009
3 UF 275/08

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